JETZT, WO IHR ANGST HABT

Anarchist*innen aus Berlin, in Solidarität und in Komplizenschaft
 
Es wird nun immer deutlicher, wie das vorherrschende Wirtschaftsmodell jede Äußerung individueller Freiheit, Gleichheit und sozialer Solidarität dem Gesetz des Profits und des übertriebenen Wettbewerbs opfert. Angesichts all dessen gibt es zahlreiche Szenarien der Revolte, die in allen Teilen der Welt explodieren und sich verästeln. Vom kurdischen demokratischen Konföderalismus bis zu den Gebieten der zapatistischen Autonomie, von Hongkong bis Chile. In den letzten Monaten hat die Art und Weise, wie die Covid-Pandemie gehandhabt wurde, die Ungleichheit zwischen denen, die unter dem System leiden, und denen, die behaupten, es zu kontrollieren, weiter verstärkt und verdeutlicht. Dadurch sind die sozialen Spannungen und ihr explosives Potenzial noch extremer geworden.
 
Der Tod von George Floyd ist an sich kein außergewöhnliches Ereignis im Zusammenhang mit der Brutalität eines Systems, das täglich tötet und verwüstet. Zur Zeit des globalen Lockdowns, der durch die Pandemie ausgelöst wurde, gab es eine internationale Explosion der Wut, die sich in vielen Formen manifestiert hat: von der Belagerung von Polizeiwache über die Plünderung jener Ware, zu denen viele Menschen keinen Zugang mehr haben, bis hin zu den großen Demonstrationen auf den Straßen.
 
Und unter den Schreien derer, die es satt haben, zu leiden und mit gesenktem Kopf zu dienen, und die im Hier und Jetzt fordern erhört zu werden, gibt es eine klare Botschaft: Selbst angesichts eines Systems, das mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Technologien versucht hat, alle Aspekte unseres Lebens zu kontrollieren, zu organisieren, zu lobotomisieren und zu unterdrücken, ist das natürliche Gefühl der Rebellion und Würde nicht völlig ausgelöscht worden und taucht in seiner ganzen Kraft und Vielfalt wieder auf. Angesichts des gesellschaftlichen Zerfalls haben sich viele natürlich entschieden, den Kopf nicht zu senken und verschiedene Formen der Selbstorganisation der Wut und des eigenen Daseins zu initiieren. Dies können Individuelle und kollektive Erfahrungen sein, die ihre Einzigartigkeit und Unterschiedlichkeit beanspruchen, die aber gemeinsam gegen eine Macht kämpfen, die sie vereinheitlichen will, damit sie leichter kontrollierbar sind und vernichtet werden können, falls sie nicht mehr den Gesetzen des wirtschaftlichen Profits folge leisten.
 
Im gegenwärtigen internationalen Szenario wird die Opposition gegen dieses Ausbeutungssystem nicht durch eine einzige Oppositionsfront repräsentiert, sondern durch eine Vielzahl entgegenstehender Formen und Existenzen, von denen die meisten nicht darauf abzielen, in den Machtzentren, an die Stelle der anderen zu treten. Sie wollen ihre eigenen Erfahrungen der Selbstverwaltung verteidigen. Dieses wunderbare und chaotische Feuer wächst, verzweigt sich und reproduziert sich als immanente Biodiversität, und die Formen der Macht erscheinen unvorbereitet und schwach, um sich auf einer immer breiteren und schlüpfrigen Ebene der Realität zu bewegen. Wer kann sich in diesem Raum des vielgestaltigen Widerstands mit Geschick bewegen, wenn nicht diejenigen, die ihr Leben und ihre Handlungspraktiken auf der Zerschlagung aller Formen von Autorität, auf Solidarität, auf der Komplizenschaft mit den verschiedenen Kämpfen aufgebaut haben? Anarchist*innen, Kämpfer*innen des Ungewissen und Unerwarteten, die sich mit Leichtigkeit zwischen den Widersprüchen der Realität bewegen und den Wert jedes Kampfes in seiner Einzigartigkeit, Vielfalt und Stärke zu schätzen wissen, indem sie ein Sandkorn zwischen den Mechanismen der Macht sind. Und genau in diesen Kontext fügen sich die jüngsten repressiven Operationen ein, die in Italien gegen die Anarchist*innen durchgeführt wurden.
 
Die verschiedenen Staatsanwaltschaften und Polizeiorgane machen es nicht mehr länger zum Rätsel, dass sie das Ziel der Strafverfolgung von der Tatsache selbst auf die Kriminalisierung von Existenzkonflikten verlagert haben. Das System der Anklage konzentriert sich mehr und mehr auf politische Aktivität und Solidarität, auf die Ausarbeitung von Texten und Analysen, auf die akribische Untersuchung alltäglicher Verhaltensweisen, die nicht den Normen des schweigenden und gehorsamen Bürgers entsprechen. Von hier aus ist der Schritt kurz, um, wie es durch die Op. Ritrovo deutlich gemacht wurde, den präventiven Ursprung der repressiven Operation zu beanspruchen. Wenn im Zentrum des Kriminalisierungsprozesses nicht mehr die Fakten stehen, sondern die Verhaltensweisen, Ideen und unsere libertäre und antiautoritäre Art, die Realität zu interpretieren und zu durchqueren, dann führt uns all dies zu einer einfachen Schlussfolgerung: Ihr habt Angst.
 
Trotz der Macht eurer repressiven Mittel, trotz der Tatsache, dass ihr weiterhin in Kasernen und Gefängnissen einsperrt und foltert, trotz der Tatsache, dass ihr versucht, uns zu spalten und zu trennen, können wir eure Angst riechen; die Kontrolle über eine Realität zu verlieren, die sich in euren Augen nicht mehr unterjocht und einheitlich wirkt, sondern vielgestaltig, wütend und potenziell zerstörerisch. Eine Realität, die für uns Anarchist*innen der natürliche Kontext ist, in dem wir uns bewegen, in dem wir Beziehungen der Solidarität und Komplizenschaft mit unseren Fähigkeiten aufbauen. Wo Beziehungen durch verschiedenen Formen des Kampfes entstehen, die sich ausdrücken oder die potentiell explodieren könnten.
 
Falls euch die Sache nicht klar ist, versuchen wir euch eine einfache Geschichte zu erzählen: Im dichten Wald gibt es ein Lagerfeuer, um das sich eine kleine Gemeinschaft versammelt. Dieses Feuer repräsentiert ihre Träume, Wünsche, die Würde eines Weges der Anerkennung, der Selbstbestimmung, der Selbstorganisierung und der gegenseitigen Unterstützung. Ihre Wärme verbindet Menschen, die sich in ihrer Vielfalt vereint sehen. In den leuchtenden Flammen spiegeln sich die Träume der Anarchisten wider. Unsichere und schillernde Gesichter, die sich auf den auf den Weg in die Baumkronen des dichten Waldes begleiten, um denjenigen, die sich noch nicht von diesem Feuer erhoben hatten, zu zeigen, dass ringsum Tausende anderer Feuer leuchten. Und für jedes Feuer steht eine neue Gemeinschaft, andere Träume, andere Widerstände und Leben, andere vereinte Individuen der Vielfalt. Und am Horizont, im gleißenden Antlitz, schreitet ein Flächenbrand voran, der das Nichts erleuchtet.
 
Und gerade die Furcht, das die Flammen dieses großen Feuers sich verbreiten könnten, treibt, diesmal die Staatsanwaltschaft von Rom, dazu die üblichen Anschuldigungen, die wir nur zu gut kennen, gegen sieben Gefährt*inn zu erheben. Das Anlaufen dieser letzten repressiven Operation mit dem Namen Operation „Bialystok” ist nichts anderes als der x-te Versuch, uns zu erschrecken, uns zu spalten, uns aufzuhalten und unsere Gefährt*innen von den Straßen, von den besetzten Plätzen und von all jenen Orten zu entfernen, die in der Tat ein fruchtbarer Boden sein können, um die Brandherde der Revolte zu nähren.
 
Im Gegensatz zu euch haben wir keine Angst. Wir werden immer in Solidarität und in Komplizenschaft sein, die sich diesem berüchtigten und mörderischen Staat mit allen Mitteln entgegenstellen.
 
Ohne einen Rückschritt zu machen, werden wir unsere Wege zur Befreiung gemeinsam mit allen unseren Mitgefangenen in den Gefängnissen, die in ihrer Freiheit eingeschränkt sind, weiter verfolgen, mit der Gewissheit, dass die von uns eingeschlagenen Wege der Befreiung geradewegs darauf abzielen, die Mechanismen der Macht anzugreifen, die Pläne des Staates in all seinen gewalttätigen und autoritären Formen zu stören.
 
Ihr werdet niemals aus uns unbewaffnete Opfer machen, sondern unaufhaltsame Rebell*innen!
 
 
Unsere aufrichtigste Verachtung für eure Formen der Unterdrückung ist gleichbedeutend mit der Freude, eure Schwäche und Angst zu verspüren.
 
Bittet nicht dem Feuer um Vergebung, das euch auslöschen wird, es kennt keine Gnade.
 
 
Anarchist*innen aus Berlin
 

Op. Bialystock

Rom – Kommunikee Op.Bialystock

Über die repressive Operation “Bialystock”

Aridaje.
Die x-te antianarchistische Repressionsoperation begann im Morgengrauen des 12.06.20 in den von den italienischen, französischen und spanischen Staaten dominierten Gebieten. In großem Stil, sodann mit Sturmhauben und abgeflachten Waffen, durchsuchten die Bullen mehrere Häuser, beschlagnahmten das übliche und verhafteten 7 Leuten, von denen sitzen 5 im Gefängnis und 2 unter Hausarrest.
Nichts Neues unter dem Sternenhimmel.
Die Anklagen, die der Staat gegen sie erhebt, sind vielfältig, darunter die übliche Vereinigung zu terroristischen Zwecken ebenso wie Brandstiftung, Anstiftung zu Straftaten und so weiter und so fort.
Nun ist es nicht wichtig, hinter ihren juristischen Spitzfindigkeiten zurückzubleiben, aber es ist notwendig, noch einmal zu betonen, dass direkte Aktion, gegenseitige Unterstützung, Ablehnung aller Hierarchien und aller Autoritäten und die Praxis der Solidarität, der Ausdruck unserer anarchischen Spannung ist.
Wir sind nicht daran interessiert, uns auf die Schuldig/unschuldig Logik einzulassen, die Betroffenen sind unsere Gefährten/innen und werden unsere Nähe, Solidarität und Komplizenschaft haben.

Ros merde
Jedem das Seine.

manche* Besetzer* von Bencivenga Occupato

Im Moment sind die bekannten Adressen vorhanden:

Nico Aurigemma
C.C. Rieti
Viale Maestri Del Lavoro, 2 – 02100 Vazia (RI)

Flavia Di Giannantonio
C.C. femminile Rebibbia
Via Bartolo Longo 92. Rom 00156

Claudio Zaccone
C.C. Syrakus Via Monasteri, 20C.
Contrada Cavadonna
Siracusa 96100

Cropo Roberto
Num ecrou : 1010197
Centre pénitentiaire
1 allée des thuyas
94261 Fresnes CEDEX
Frankreich

Francesca Cerrone
C.P.de Almeria-El Acebuche CTRA. cuevas-ubeda km2,5
04030, Almèria

https://roundrobin.info/2020/06/roma-comunicato-op-bialystock/

Das alltägliche Blutbad der Ausbeutung

Die neue Wirklichkeit

Jemand meinte einmal, die Unterdrückbarkeit des Menschen kenne keine Grenzen. Der Mensch ist ein Gewöhnungstier und nach einem kurzen Schock, scheint er sich an jeden Zustand anpassen und gewöhnen zu können, egal wie erniedrigend und beengend dieser auch sein mag. Eine Weltbevölkerung unter Quarantäne, Regieren per Ausnahmezustand, Verbot jedes sozialen Lebens – und nach einigen Wochen fühlt es sich schon fast normal an. Man gewöhnt sich an die Einschränkungen – an das Home Office ebenso wie an den Verlust der Bewegungsfreiheit. In dieser harten Stunde rücken wir zusammen, zeigen uns einsichtig und zollen der Kanzlerin Respekt, dass sie den Schutz der Gesundheit über den Schutz der Wirtschaft stellt…

Moment mal… waren wir denn vor dieser Krise alle gesund, glücklich und frei?

Die zur Zeit durch Medien und Staat erzeugte Fiktion und Angst, dass uns ein Massensterben droht, wenn wir uns nicht einschränken, blendet aus, dass der globale Kapitalismus tagtäglich Massensterben produziert. Mehr als eine Milliarde Menschen leidet weltweit an Hunger, wovon täglich tausende sterben, während in Deutschland täglich circa ein Drittel der Lebensmittel im Müll landet… Mehr als 700.000 Menschen krepieren jährlich an HIV, obwohl es bereits Gegenmedikamente gibt, die aber wegen der Monopole der Pharmaindustrie nicht bezahlbar verkauft werden… Jeden Tag verrecken Menschen durch in Deutschland produzierte Waffen in Kriegen im Jemen, Mexiko, Afghanistan oder Syrien… und tausende werden von US-amerikanischen Drohnen, die von Deutschland aus gesteuert werden, im Nahen Osten in Stücke zerfetzt… In den letzten fünf Jahren sind mehr als 20.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, da es keine legalen Fluchtrouten nach Europa gibt… und weltweit sterben jedes Jahr 2,4 Millionen Menschen durch Arbeitsunfälle, ermordet durch das Gewinnstreben der kapitalistischen Ordnung. Und eben diese Ordnung, die täglich all dieses Leid und Elend hervorbringt, soll nun plötzlich unsere Gesundheit schützen? Ich glaube es wäre unser psychischen und physischen Gesundheit am dienlichsten, diese verpestende und krank machende Ordnung zu meucheln!

Regieren durch Angst

Das Erzeugen von Angst ist seit jeher eine der wichtigsten Herrschaftstechniken. Ein Mensch, der sich nicht nur fürchtet, also im Angesicht einer konkreten Gefahrensituation angespannt ist und nach einem Ausweg sucht, sondern in permanenter Ängstlichkeit lebt, ist einfach zu regieren. Wer in ständiger Angst lebt, hat weniger Selbstbewusstsein, isoliert sich mehr, macht sich abhängig und unselbstständig, sucht nach Schutz und starken Führern, hat Angst vor dem Unbekannten und Fremden, versinkt in Lethargie, Depression und Ohnmacht – und hat vor allem Angst zu rebellieren. Zu solch gehorsamen Sklaven werden wir nicht nur erzogen und sozialisiert, so eine Angst wird uns regelrecht antrainiert, indem konkrete Ängste geschürt und dann verallgemeinert werden. Die Angst vor der Zukunft, die Angst vor den Fremden, die Angst vor dem Terror, die Angst vor dem Virus… Während wir innerhalb des derzeitigen Ausnahmezustandes mehr und mehr voneinander isoliert werden, einsam vor Bildschirmen vergammeln, um unsere Zukunft und Jobs bangen und jegliche Regung und Emotion hinter einer Atemschutzmaske verbergen, füllen sich die Straßen mit starken und uniformierten Beschützern. Die Gesetze und Regelungen ändern sich so schnell, dass man letztendlich mit allem rechnet, schließlich alles toleriert und sich an die Willkür der Staatsmacht gewöhnt. Ob die Uniformierten nun Spaziergänger verscheuchen oder nicht, überall laufen Securities und Bullen herum, ob im Supermarkt, im Park oder an der Grenze… man gewöhnt sich nicht nur an ihre Präsenz, sondern auch daran, dass sie in einen Moment Leute von der Straße verscheuchen und im nächsten die sich nach draußen Wagenden nur mit milden und wachsamen Blicken beehren. Indem wir voneinander isoliert und gleichzeitig überwacht und zur Passivität gedrängt werden, verstärkt der Staat seine soziale Kontrolle und Macht. Egal wie sich die nächsten Monate entwickeln, diese Maßnahmen der Militarisierung werden bleiben und immer alltäglicher werden, denn dem Staat ist immer daran gelegen die Macht seiner Institutionen und repressiven Organe auszuweiten und seine Ordnung zu verewigen.

Vor der Krise, nach der Krise

Seit es den Kapitalismus gibt, bringt dieser immer Krisen hervor. Wenn die Weltwirtschaft nun kollabiert, tut sie dass nicht wegen Corona. Es war klar, dass es irgendwann eine Weltwirtschaftskrise geben wird, diese Krise ist nur der Auslöser, die Schuld trägt das Wirtschaftssystem selbst und nicht der Virus. Denjenigen, die zukünftig ohne Job und Cash dastehen, wird man vorhalten, dass die Ursache dafür in der „Corona-Krise“ liege – obwohl Krisen unvermeidlicher Teil der kapitalistischen Wirtschaft sind. Der Kapitalismus nutzt solcherlei Krisen und Unterbrechungen nicht nur, um die nicht überlebensfähigen Firmen auszusortieren und sich neu zu ordnen, sondern um sich maßgeblich weiterzuentwickeln und dem nächsten Wirtschaftswachstum eine neue Richtung zu geben. Die Themen, die sich gerade am Horizont der jetzigen Krise ankündigen, werden uns noch lange begleiten: Die Abschaffung des Bargeldes und die Einführung digitaler Identitäten. Ein Virus bietet hierfür den idealen Anlass. Doch die westlichen Staaten sind sich der Gefahr sehr bewusst nicht in das Fettnäpfchen der „Überwachungsstaaten“ á la China zu tappen und versuchen ihre Innovationen langsam, selbstkritisch und unter Einbeziehung von Pseudo-Kritik einzuführen. Und natürlich nicht verpflichtend, sondern immer „freiwillig“… und Stück für Stück kann man nur noch bargeldlos bezahlen und an Sachen teilnehmen (Reisen, Nahverkehr, Schulen, Unis, Konzerte, Bibliotheken etc.), wenn man sich „freiwillig“ einen E-Ausweis erstellt bzw. einen elektronischen Immunitätsnachweis oder Impfnachweis etc.

Lassen wir uns nicht von dem orwell‘schen Doppelsprech verwirren, dass uns weis machen will, dass es ein großer Unterschied wäre, ob Bewegungs- und Kontaktdaten nun zentral oder dezentral gespeichert werden – Überwachung ist Überwachung und Kontrolle ist Kontrolle und unvereinbar mit Freiheit.

Gegen die Rückkehr zur Normalität!

Jetzt mal ehrlich: Haben wir nicht alle in den letzten Wochen interessante Momente erlebt? Die Erfahrung, dass etliche Menschen gewillt sind die vom Staat auferlegten Regeln zu brechen, wenn sie für sie keinen Sinn ergeben… die Gewissheit, dass wir für uns selbst entscheiden können, ob und wann wir heraus gehen wollen und welches Verhalten für uns angemessen erscheint… der Wille, selbst Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen, auch wenn diese als kriminell Verstöße abgestempelt werden könnten… und dann diese unverhoffte Solidarität, wenn Unbekannte am Isarufer vor herannahenden Bullensschweinen warnen! Und hat nicht auch diese Polarisierung etwas erleichterndes, etwas ehrliches? Jeder hat sich im Angesicht des Ausnahmezustandes und der staatlichen Maßnahmen zu positionieren, niemand kann sich verstecken… man sieht, wie die Leute der Freiheit und den Freiheitsberaubern generell gegenüber stehen, wer für sich selbst entscheiden und denken kann und wer sich als Denunziant erweist… und wer wie ein Lamm nach neuen Hirten sucht und alten Erklärungsmustern im neuen Gewand hinterherläuft.

Während in den Pariser Banlieues Bullen aus den Straßen vertrieben werden und lodernde Barrikaden die Nacht erhellen, schreien Revoltierende im Libanon im Schein brennender Banken und Militärfahrzeuge aus vollem Halse: „Die Politiker lenken unsere Aufmerksamkeit mit dem Coronavirus ab, um uns weiter bestehlen zu können!“ Und in dieser Parole scheint einiges an Wahrheit zu stecken: Auch wenn theoretisch jeder an dem Virus erkranken und sterben kann, sind es diejenigen, die wirklich hart von der Krise betroffen sind, die auch davor für den Kapitalismus nur Auszubeutende und zu Bestrafende gewesen sind – die Armen, die Lohnabhängigen mit beschissenen Jobs, alle, die nicht im reichen Westen sitzen und zur Elite gehören und vor allem alle in Flüchtlingslagern und Knästen Eingeschlossene. Vielleicht wäre es Zeit einzusehen, dass alle Armen und Ausgebeuteten weltweit schon immer diejenigen waren, die am meisten an der todbringenden Pest des Kapitalismus leiden und vom bewaffneten und kriegsbringenden Staat dazu gezwungen werden, weiter zu schuften und ihre Lebenszeit für den Preis des Überlebens aufzuopfern.

Ich denke es ist Zeit, das Leben zu umarmen und den Aufstand gegen die Schlächter und Bluthunde der alltäglichen Ausbeutung zu wagen!

Das alltägliche Blutbad der Ausbeutung

ES LEBE DIE REVOLTE!

Nach einer weiteren Nacht des Aufruhrs in den Straßen der Vereinigten Staaten wegen der Ermordung von George Floyd kündigt Präsident Trump von einem Bunker im Weißen Haus aus an, dass er „Anti-Fa“ als terroristische Organisation bezeichnen werde. Diese Bezeichnung soll eine spontane, facettenreiche Bewegung zu einer Organisation reduzieren und ihr nicht nur eine Ideologie, sondern auch eine nach staatlicher Logik funktionierende Hierarchie zuweisen.

Wieder einmal wird der Terrorismus als Alibi für die Kriminalisierung kämpfender breiter Sektoren benutzt, die wiederum völlig den „Antifaschismus“ übersteigen. Aber neben der Anprangerung und dem Kampf gegen den repressiven Vormarsch, den dies bedeutet, ist es notwendig, die Polarisierung zurückzuweisen, die in diesem Kampf installiert werden soll.

Die von Covid-19 auferlegte falsche Wahl zwischen Wirtschaft und Leben hat zu einem Wiederaufleben der klassischen bürgerlichen Polarisierung zwischen Wirtschaftsliberalismus und Staatsinterventionismus geführt. Letztere wiederum ist je nach Region unterschiedlich kodifiziert worden. Im Allgemeinen spricht man von fortschrittlich und rechtsgerichtet, und geht sogar so weit, vom Faschismus zu sprechen, wie in Brasilien und den Vereinigten Staaten. Wir sehen keinen Zufall in dem Appell an den Antifaschismus als Kanalisierung einer Revolte, die sie nicht kontrollieren können.

Obwohl der in den Vereinigten Staaten und Europa verbreitete Straßenantifaschismus (die Antifa) vom Straßenschlägertyp, der sich den Neonazi-Banden entgegenstellt, nicht der statische und militärische Antifaschismus (der „Guten“) der 1930er Jahre ist, so ist er doch ihr Erbe. Die siegreichen Verteidiger des offiziellen Antifaschismus ermordeten im Zweiten Weltkrieg massenhaft Arbeiter und vergewaltigten Frauen. Und nachher gehörten sie direkt zu den siegreichen Regierungen, die im Namen des Kampfes gegen den Faschismus so sehr vielen Länder einem demokratischen kapitalistischen Regime unterworfen haben, in dem es keinen Protest mehr geben sollte, weil wir eigentlich frei wären und es uns schlechter ginge, wenn die anderen gewonnen hätten.
Faschismus und Demokratie waren schon immer komplementäre politische Systeme, die den Interessen der Reichen dienten. Wenn die Demokratie nicht in der Lage ist, die Kämpfe der Ausgebeuteten und Unterdrückten einzudämmen oder einfach nur, um uns in Schach zu halten, greift das Kapital auf brutalere Formen zurück. Heute sind diese Methoden, die angeblich das Vorrecht der Faschisten sind, Teil jeder Regierung, die sich für frei und antifaschistisch erklärt, und sie sind offen totalitär: Morde wie der an George Floyd oder die Millionen von Toten durch die Polizei in jedem Land, Sklavenarbeit als notwendige Ergänzung des Arbeitsmarktes und Disziplin in Schulen, Gefängnissen und Irrenanstalten. Doch kein Präsident bezeichnet sich selbst als Faschist, sondern das Gegenteil!

Jetzt, da die Demokratie zu einer totalitären Kontrolle des gesellschaftlichen Lebens geworden ist, hat der Faschismus als Herrschaftssystem seine Bedeutung verloren. Natürlich gibt es immer noch Nazis und Faschisten, aber sie sind nicht diejenigen, die die Fäden in der Hand haben, sie sind ein Problem der Straße und müssen jeden Tag auf der Straße bekämpft werden. Doch Antifaschismus als politische Option ist eine Farce. Heute wie damals dient er nur dazu, die Unterdrückten und die Unterdrücker, die Ausbeuter und die Ausgebeuteten, die Herrscher und die Beherrschten zu vereinen. Im Namen des Antifaschismus sind wir aufgerufen, uns den Völkermördern von heute anzuschließen: den fortschrittlichen oder linken Machthabern eines jeden Landes, die ebenfalls Blut an ihren Händen haben. Oder mit den Erben des Stalinismus und des völkermörderischen Maoismus.

Das Problem ist nicht die Rechte oder die Linke. Es ist der Kapitalismus, es ist die Demokratie. Man muss sich nicht der antifaschistischen Front anschließen, um die Faschisten zu bekämpfen. Was uns eint, ist das gemeinsame Handeln überall gegen das, was uns ausbeutet und unterdrückt, gegen die Wurzel des Problems: Privateigentum, Geld und den Staat.

In den Straßen der USA mischen sich schwarze Proletarier mit Weiße und Latino Proletarier. In weniger als einer Woche haben sie den bedrückenden Alltag in Frage gestellt. Dies zu eine einzige Bewegung reduceren wie Trump und sein Gefolge es wollen – oder um die Opposition hinter ein Teil dieser Äußerungen zu bekommen – zeigt wie gut diese beiden gegnerischen Fraktionen in der Politik auf einander eingestellt sind, in der Art und Weise, wie sie diese Warenwelt führen.

Lasst weder Trump noch die Henker irgendwo auf der Welt uns den Zielen und Entwicklungen unserer Kämpfe zuordnen!

Der Staat ist ein Terrorist!

Quelle auf Deutsch: https://arbeiterstimmen.wordpress.com/2020/06/03/usa-viva-la-revuelta

https://panfletossubversivos.blogspot.com/2020/06/es-lebe-die-revolte.html

 

Boletín La Oveja Negra nro.69: Coronavirus und soziale Fragen

Coronavirus und soziale Fragen

Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand, wenn auch innerhalb der kapitalistischen Norm. Die Staatsvernunft kennt keine Ausnahmen, sondern Regeln. Es ist nicht das Ende der Welt. Und es ist nicht notwendig, aufgrund höherer Gewalt eine Aussetzung der Reflexion oder der Aktion einzuleiten.

Der Kapitalismus ist eine tägliche Katastrophe. Als ernstes Problem stellt er jedoch nur das dar, was er sofort zu lösen versucht. Was er bereits als unvermeidlich naturalisiert hat, wird Teil seiner Normalität. Deshalb zielen alle Vorschläge, die nicht auf den Kampf gegen den Kapitalismus abzielen, nur darauf ab, seine Katastrophe zu verwalten.

Zu den vermeintlichen Fakten dieser Gesellschaft gehört die „Tatsache“, dass nach Schätzungen von UNICEF, Weltbank und Weltgesundheitsorganisation täglich 8500 Kinder auf der Welt an Unterernährung sterben. Es ist schnell geschrieben, vierstellig… aber es ist ein unbeschreibliches Grauen. Reicht es nicht, zu verzweifeln? Zu denken, dass diese Gesellschaft zu nichts mehr geht? Bedeutet das nicht, dass alles verändert werden muss? Stellt dies nicht die Welt, in der wir leben, bloß? Oder muss eine Pandemie in den Städten ankommen, wo diejenigen von uns, die die Stimme haben, sich zu beklagen, und die Mittel haben, sich zu wundern und zu klagen?

Offensichtlich, und leider schon seit langem, sind diese Todesfälle durch Hunger keine Ausnahme mehr. Diese Zahlen erscheinen noch abstrakter aufgrund der geografischen Entfernung, die wir vom afrikanischen Kontinent, dem unbestrittenen Sitz des Welthungers, haben, und zwar in jeder Hinsicht. Dort beutet der Kapitalismus nicht nur durch Löhne aus, wie er es hier gewöhnlich tut, sondern vor allem durch Halbsklavenarbeit, während er gleichzeitig auf brutale Weise ausbeutet und zerstört.

Die Pandemie begann damit, dass sie hauptsächlich Länder betraf, die wichtige Zentren der kapitalistischen Produktion sind: China, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten. Sie drohte die Produktion und den Warenverkehr zu lähmen, während sie sich global ausbreitete, und auch den Zusammenbruch des Gesundheitssystems verursachte.

Gerade weil sie solche Regionen mit einer produktiven Bevölkerung erreicht hat, die Zugang zu medizinischen und Krankenhaus-Systemen hat, wurde sie so alarmierend. Die meisten von uns sind jedoch außerhalb dieses Kreislaufs und kaum mit formellen Arbeitsplätzen verbunden.

Es sollte daran erinnert werden, dass die kapitalistische Gesellschaft die Gesellschaft der Lohnarbeit und der nicht direkt bezahlten Hausarbeit, sowie der Sklavenarbeit in der Demokratischen Republik Kongo oder im Norden Argentiniens ist. Es gibt keine gute und keine schlechte Seite, sie sind notwendige Aspekte für das Funktionieren der kapitalistischen Normalität.

Auf der anderen Seite sollten wir uns fragen, wie es möglich ist, dass bei einem solchen Stillstand der produktiven Wirtschaftstätigkeit die Banken immer reicher werden. In Abwesenheit eines Impfstoffs gegen COVID-19 spritzte beispielsweise die US-Notenbank Milliarden von Dollar, um die Märkte zu beruhigen und zu verhindern, dass die Pandemie das Wachstum bedroht. Die Vereinigten Staaten haben ihre Zinssätze auf 0% dieses Jahr gesenkt.

Heute wird der Kapitalismus auf der Grundlage der ununterbrochenen Produktion von fiktivem Kapital, von Schulden und allen Arten von Finanzspritzen aufrechterhalten, die seine Fortsetzung ermöglichen. Die Bourgeoisie beginnt, sich der Fiktion bewusst zu werden, und deshalb ist diese weit verbreitete herrschende Angst nichts anderes als die Angst der herrschenden Klasse.

Um zu unserer greifbarsten und makabersten globalen Realität zurückzukehren, machen wir, wenn nötig, deutlich, dass wir diese Pandemie, die uns plagt, nicht unterschätzen. Die eine Situation beseitigt oder verdunkelt die andere nicht, zum Nachteil, sie werden mächtiger. Es ist kein „Privileg“, ein Coronavirus in Italien zu haben, verglichen mit der Möglichkeit, in Burundi an Hunger zu sterben. Aber wir sehen, dass einige Tote mehr wert sind als andere, was man bei der Analyse eines vermeintlich globalen Problems nicht aus den Augen verlieren sollte.

Während wir dies schreiben, beginnt die Pandemie, Indien heimzusuchen. Dort wird die Zwangseinsperrung ihre eigenen Merkmale haben, weil es das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt ist und weil nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) mindestens 90% der Arbeitskräfte in Indien im informellen Sektor arbeiten.

Die Coronavirus-Pandemie, die Panik, die die Bevölkerung erfasst hat, und ihre ergreifende Quarantäne sind eine lebendige Erfahrung, die von Millionen von Menschen geteilt wird. Das Chuang-Kollektiv, in seinem Artikel „Soziale Ansteckung. Der mikrobiologische Klassenkampf in China“ weist darauf hin, dass „die Quarantäne wie ein Streik ist, der seiner kommunalen Charakteristika entleert wird, aber dennoch in der Lage ist, einen tiefen Schock sowohl in der Psyche als auch in der Wirtschaft hervorzurufen. Diese Tatsache allein macht sie schon bedenkenswert“. Mit dieser Sonderausgabe von La Oveja Negra wollen wir zu der notwendigen Reflexion über die Situation, die wir durchleben, beitragen.

April 2020

Ist das Virus Kapitalismus?

Viren sind infektiöse Erreger, die wir mit dem bloßen Auge nicht sehen können, sie sind sogar mikroskopisch klein. Da sie azellulär sind, können sie sich nur innerhalb der Zellen anderer Organismen vermehren. Sie infizieren Tiere, Pilze, Pflanzen und Bakterien. Wegen ihrer scheinbar „parasitären“ Aktivität werden sie von manchen Menschen metaphorisch mit dem Kapitalismus in Verbindung gebracht. Aber der Kapitalismus ist kein externer Akteur, der dank uns lebt, nicht einmal die Bourgeoisie ist einfach ein Parasit. Auf der Unschuld des Opfers und dem äußeren Charakter des „kapitalistischen Virus“ zu beharren, bedeutet nichts anderes, als sich in nutzlose Pläne zu verstricken, um das Wesen des Kapitalismus zu verstehen und die Passivität einer „Arbeiterklasse“ zu bekräftigen, die sich nicht abschaffen, sondern verbessern will.

Das Auftreten dieser Pandemie erinnert uns daran, und wie entfremdet wir sind, dass wir biologische Wesen sind. Sowohl wir als auch ein Mitglied der britischen Krone können krank werden. Einige berühmte „Unerreichbare“ können mit dem berühmtesten Virus des Augenblicks erreicht werden, weil es auch und vor allem ein menschlicher Körper ist.

Denn ohne ein Virus gäbe es kein Leben, wie wir es kennen. Obwohl es einen weit verbreiteten Glauben gibt, dass Viren und auch Bakterien unsere Feinde sind, Leben existiert dank dem Gleichgewicht und der „gegenseitigen Unterstützung“ und nicht durch Konkurrenz.

Die Entwicklung und Verbreitung des Coronavirus im heutigen Ausmaß kann nur im Kapitalismus stattfinden. Und zwar nicht nur, weil es den Tourismus und eine globalisierte Welt gibt, sondern weil sie untrennbar mit der Art und Weise verbunden sind, wie die kapitalistische Gesellschaft, die totalitär und global ist, produziert und daher zirkuliert. Weil wir von einer Gesellschaft betroffen sind, die den Profit über das Leben stellt, und dies hat direkte Auswirkungen auf unsere Ernährung, Wohnverhältnisse, Bindungen und psychische Gesundheit. Jede Krankheit entsteht und entwickelt sich unter bestimmten materiellen Bedingungen.

In dieser kapitalistischen Gesellschaft krank zu werden, bedeutet viele Dinge: nicht genug Ruhe bekommen zu können, an einem kalten, feuchten Ort zu schlafen, krank zu arbeiten, Verpflichtungen mit zitternden Beinen nachzukommen, nicht das Nötige zum Essen zur Hand zu haben, in völliger Einsamkeit zu leiden oder von zu vielen Menschen umgeben zu sein. Unsere Immunität steht in direktem Zusammenhang mit der Umwelt und der Art und Weise, wie wir leben, aber das bedeutet nicht, dass es eine Möglichkeit gibt, dass wir Menschen von Krankheiten ausgenommen sind.

Wie Alfredo M. Bonanno in Krankheit und Kapital1 anmerkt: „Die Dinge sind etwas komplizierter. Im Grunde könnten wir nicht sagen, dass es in einer befreiten Gesellschaft keine Krankheiten gäbe. Wir können nicht sagen, dass, wenn dieses wunderbare Ereignis eintritt, die Krankheit auf eine einfache Schwächung irgendeiner hypothetischen Kraft reduziert würde, die erst noch entdeckt werden muss. Wir glauben, dass Krankheit Teil der Natur des Zustands des in der Gesellschaft lebenden Menschen ist und dass es der Preis wäre, den man zahlen müsste, wenn man die optimalen Bedingungen der Natur ein wenig korrigieren würde, um die notwendige Künstlichkeit zu erhalten, um selbst die freieste aller Gesellschaften aufzubauen. Gewiss, das exponentielle Wachstum der Krankheit in einer freien Gesellschaft, in der die Künstlichkeit zwischen den Individuen auf das unbedingt Notwendige reduziert wird, kann nicht mit dem verglichen werden, was in einer Gesellschaft existiert, die auf Ausbeutung basiert, wie es unsere heutige Gesellschaft ist. So könnte Krankheit ein Ausdruck unserer Menschlichkeit sein, wie sie heute ist, ein Ausdruck unserer schrecklichen Unmenschlichkeit.“

Es braucht keine Verschwörung, damit ein Virus in einem Land auftaucht und sich rund um den Globus verbreitet, dies geschieht „natürlich“ in der künstlichen Welt, in der wir leben. Um das Problem des Virus hinter der aktuellen Pandemie (SARS-CoV-2) anzugehen, empfehlen wir den zuvor zitierten Artikel von Chuang aufgrund seiner Synthese und Klarheit. Dort heißt es, dass „wie sein Vorgänger, SARS-CoV im Jahr 2003, wie auch die Vogel- und Schweinegrippe, die ihm vorausging, im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Epidemiologie entstanden sind. Es ist kein Zufall, dass so viele dieser Viren den Namen von Tieren angenommen haben: Die Ausbreitung neuer Krankheiten auf die menschliche Bevölkerung ist fast immer ein Produkt der so genannten zoonotischen Übertragung, was technisch gesehen bedeutet, dass solche Infektionen vom Tier auf den Menschen überspringen. Dieser Sprung von einer Art zur anderen wird durch Faktoren wie Nähe und Regelmäßigkeit des Kontakts bedingt, die alle das Umfeld bilden, in dem sich die Krankheit zwangsläufig entwickelt“.

Glaube an die Wissenschaft

In diesem Zusammenhang scheint es, dass es die Wissenschaft ist, die das Kommando über die Situation übernommen hat, die inmitten des Chaos Gewissheit bringt, um uns vor der Katastrophe zu retten. Aber diese – übrigens filmische – Idee einer Wissenschaft, die ihr ganzes Potenzial entfaltet, um die Gesundheit der Menschen zu garantieren, müssen wir definitiv aufbrechen. Die Technowissenschaft, wie wir den gegenwärtigen Stand des rationalen Wissens charakterisieren, ist ein komplexes betriebswirtschaftlich-technisch-wissenschaftliches System und stellt eine der vielfältigen und gleichzeitigen Facetten dar, die von der kapitalistischen Maschinerie artikuliert werden. Sie ist keineswegs neutral. Es gibt keine von dem Kapital getrennte Wissenschaft. Sie haben sich synergetisch entwickelt und nähren sich gegenseitig.

Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Gesandten der Wissenschaft auf der Erde dieselben sind, die den Einsatz von Agrotoxinen in eben dieser Region rechtfertigen, die nicht nur die Waffen für Kriege entwickeln, sondern auch die Medikamente, die uns krank machen und uns töten, sowie eine endlose Anzahl von Elementen, die diesem scheinbar irrationalen System zugrunde liegen.

Das Kapital bringt wissenschaftliche Experten als vollen Ausdruck der Arbeitsteilung hervor. Sie definieren das Problem und grenzen die Strategie ab, indem sie sich eine der vielen Enteignungen zunutze machen, die die moderne Gesellschaft aufrechterhalten: die Beseitigung des Wissens um die Pflege und die Erhaltung der Dynamik der Lebenden. Spezialisten quantifizieren die Welt, üben eine mathematische Reduktion des Realen, erstellen Modelle von Verständnis-Dominierung der menschlichen und nicht-menschlichen Natur. Ein Wissen, das, indem es die diskursive Ebene transzendiert und zu konkreter Handlung wird, die Materialität auf irreversible Weise verletzt.

Diese Form des Weltverständnisses weist den „Studienobjekten“, in diesem Fall dem Virus, „Eigenschaften“ zu, da sie bestimmte absolute Merkmale besitzen, unabhängig von der Umgebung, in der sie entstehen und ihre Existenz entfalten. Alles konzentriert sich auf den Agenten. Die Operation löscht die materiellen Bedingungen, unter denen die Aktion stattfindet. Wir sprechen über das Virus, die Krankheit und die Maßnahmen zur Milderung der Folgen, aber niemals über die sozialen Beziehungen von Produktion und Reproduktion, die die Ereignisse ausbrüten.

Ein weiterer Aspekt der Kodifizierung, die das herrschende Wissen über die Welt vornimmt, ist die Identifizierung des Fremden als Feind. Es ist der von der militärischen Metapher auferlegte Totalitarismus, das makabre Spiel von Verteidigung und Angriff, die systematische Zerstörung des anderen. Die Regierungen wenden die Taktik an, die Art und Weise, wie das zu tun ist, was von der rationalen Armee auferlegt wird, und führen somit bestimmende Entscheidungen aus, wie z.B. die Ausrufung einer Quarantäne, die Einstellung dieser oder jener Produktionslinie, die Schließung der einen oder anderen Betriebsstätte, die Erzwingung und Unterlassung von Arbeit, die Verfolgung, das Einsperren und Foltern derjenigen, die sich nicht an ihre Anweisungen halten.

Die Unterordnung von Aktionen unter einen bestimmten technisch-wissenschaftlichen Zweig ist vorübergehend und im Wandel begriffen. Wenn eine andere Art von Maßnahmen in Bezug auf die Realität erforderlich ist, übernimmt das Expertenwissen, das für die Bewältigung der jeweiligen sozialen Situation am besten geeignet ist. Sie werden genauso einfach ausgetauscht wie ein Ersatzteil. Weil sie Teil ein und derselben Sache sind. Getriebe dieses Systems, die alternativ dem Kommando oder zur Verfügung gestellt werden. Dass sie, wenn nötig, über Menschen, die Umwelt, die Vergangenheit, die Zukunft oder das Leben sprechen, aber immer mit dem Taschenrechner in der Hand.

Die Reaktion des Staates

Wie das Kollektiv „Angry Workers“ in einem kürzlich erschienenen Artikel ausführt,2 oszilliert die Debatte zwischen einem berechtigten Misstrauen gegenüber der Motivation des Staates („der Staat nutzt die Krise, um mit Aufstandsbekämpfung und repressiven Maßnahmen zu experimentieren“) und der Kritik an der eigenen Unfähigkeit des Staates, das zu tun, was er tun sollte („Sparmaßnahmen haben die Gesundheitsinfrastruktur zerstört“):

„Wir können davon ausgehen, dass repressive Maßnahmen und Blockaden verhängt werden, um den Mangel an medizinischer Unterstützung und Ausrüstung, zum Beispiel für Massentests, zu decken und ihm entgegenzuwirken.“ Gleichermaßen sollten staatliche Maßnahmen im Zusammenhang mit den jüngsten „populären Protesten“ [in Frankreich] bis zu den jüngsten Straßenprotesten in Lateinamerik nicht außer Acht gelassen werden. Alle regierungsfeindlichen Proteste wurden in Algerien verboten; die Armee steht in Frankreich auf den Straßen; bevor es zu Todesfällen und anderen medizinischen Maßnahmen kam, wurde in Chile der dreimonatige Ausnahmezustand verhängt. Das gegenwärtige Regime, das das Coronavirus verhängt, ist keine Verschwörung gegen diese Proteste, aber der Staat weiß, dass es als „Wiedererlangung der Kontrolle im Interesse der Allgemeinheit“ gesehen werden muss.

Die Maßnahmen der Staaten stehen im Widerspruch zueinander. Jede Regierung wird unter Druck gesetzt, einerseits ihre Bevölkerung zu kontrollieren (Ausgangssperren, Schließung der Grenzen), um den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern, und andererseits die Produktion am Laufen zu halten (Menschen zur Arbeit zu zwingen, Unternehmen zu retten). Wichtig ist, dass wir unter diesen Umständen so gut wie möglich demonstrieren und für unsere unmittelbaren Bedürfnisse kämpfen, ohne den Staat weiter zu stärken und ihm zu erlauben, in seiner Reaktion noch reaktionärer zu werden. Zweifellos tragen die Forderungen nach einer Verschärfung der Haftbedingungen dazu bei, ganz zu schweigen von der weit verbreiteten Tendenz, die Augen vor polizeilichen Übergriffen gegen diejenigen zu verschließen, die dieses Mandat vorübergehend, meist aus Notwendigkeit, brechen.

Aber es besteht keine Notwendigkeit, auf die angeblichen Exzesse der Ordnungskräfte einzugehen, die das Privateigentum verteidigen, und deshalb die Bourgeoisie. Einsperren ist bereits eine repressive Maßnahme, sogar eine einsiedlerische, die darin besteht, jemandem Grenzen aufzuerlegen und ihn nicht herauszulassen. Es hat mit dem Statischen zu tun, mit Hemmung und Enge. Sie kann z.B. als politische Maßnahme zur Prävention oder Bestrafung eingesetzt werden3.

In Argentinien zum Beispiel hat uns die Regierung mit einem Belagerungszustand-Ausnahmezustand gedroht, und obwohl es dazu nicht gekommen ist, ist die Situation sehr ähnlich. Der Unterschied ist der offizielle Verlust der Verfassungsgarantien. Die Polizei und der Militärapparat gehen jedoch auf die Straße und werden ermutigt, um wieder was anzustellen. Regierungen sagen ihren Bürgern, wie, wo und mit wem sie sich bewegen sollen. Eines der Attribute des traurigen Bürgers ist die „Freizügigkeit“, nun, selbst die geht verloren. Wenn die Einbürgerung eine Verurteilung ist, werden wir vielleicht bald weniger als das sein.

„Bewegen Sie sich“, sagt normalerweise der Polizist auf der Straße. Jetzt in Quarantäne ändert er es in „Geht in eure Häuser“. Und wenn er es für nötig hält, schlägt er zu, erzwingt Kniebeugen und die Hymne zu singen, wie in den Stadtvierteln der Argentinischen Republik.

Diese Art von verzweifelten und aggressiven Maßnahmen auf internationaler Ebene ähneln, wie Chuang betont, denen der Aufstandsbekämpfung, wobei sie sehr deutlich an die Aktionen der militärisch-kolonialen Besatzung an Orten wie Algerien oder in jüngster Zeit Palästina, erinnert. Noch nie zuvor wurden sie in diesem Umfang durchgeführt, auch nicht in Megalopolen, in denen ein großer Teil der Weltbevölkerung lebt. Das Verhalten der Repression bietet dann eine seltsame Lektion für diejenigen, die die Weltrevolution im Auge haben, da sie im Wesentlichen ein Simulation einer Reaktion auf internationaler Ebene ist, die von den Staaten koordiniert wird.

Die Aufstandsbekämpfung ist schließlich eine Art verzweifelter Krieg, der erst dann geführt wird, wenn solidere Formen der Eroberung, Beschwichtigung und wirtschaftlichen Eingliederung unmöglich geworden sind. Es ist eine kostspielige, ineffiziente und nachhutartige Aktion. Das Ergebnis der Repression ist fast immer ein zweiter Aufstand, blutig durch die Niederschlagung des ersten und noch verzweifelter. Aber wir können hinzufügen, dass diese Art der Aufstandsbekämpfung auf eine besondere Art und Weise geschieht, weil sie sich nicht einfach gegen eine Bevölkerung richtet, sondern mit der Bevölkerung, indem sie jedes Haus zu einer Kaserne und jeden Bürger zu einem Soldaten seiner selbst und seines Nachbarn macht. Ihre Waffen: das Whatsapp, die Kamera, die „sozialen Netzwerke“; und ihre Schützengräben können ihre Fenster oder Balkone sein.

Unsere Ablehnung des Staates und all seiner Maßnahmen beruht nicht auf ideologischen Prinzipien, sondern auf unserer materiellen Realität der Ausbeutung und Herrschaft. Es gibt bereits viele Stimmen, die gerne sagen, was der Staat tun soll, in der Hoffnung, es selbst zu tun. Im Gegenteil, es ist notwendig, staatliches Handeln zu kritisieren und für seine notwendige Abschaffung zu kämpfen. Angesichts der Probleme, die er nicht lösen kann, werden wir uns daran erinnern, dass es Teil des Problems ist und niemals seine Lösung, ganz gleich, wer das Sagen hat.

Das Coronavirus ist in dieser Hinsicht beispielhaft. Wir leugnen nicht die Existenz des Problems, das die weltweite Verbreitung eines Virus darstellt. Wir leugnen auch nicht die Tatsache, dass es Maßnahmen gibt, die für die proletarische Klasse weniger destruktiv sind als andere. Wir weisen jedoch darauf hin, dass das, was als Lösung beabsichtigt ist, die Situation ernsthaft verschlimmert.

Aus der Politik heraus wird uns gesagt, dass es keine Alternative gibt, dass dies Maßnahmen sind, die kritisiert werden können, aber es wäre schlimmer, wenn nichts unternommen würde. Die wenigen, die die Massenquarantäne kritisieren, sprechen von der Notwendigkeit groß angelegter Tests, von der Isolierung nur der Kranken und derer mit Symptomen, von der Fokussierung der Versorgung auf die gefährdete Bevölkerung. Diejenigen, die etwas weiter gehen, fordern strenge Entscheidungen gegen den privaten Gesundheitssektor sowie wirtschaftliche Maßnahmen, die von massiven Subventionen für informelle Arbeiterinnen und Arbeiter bis hin zu Auflagen für Unternehmen als Bremse für Entlassungen, volle Lohnzahlung und sogar die produktive Umstellung einiger Fabriken auf die Produktion von Beatmungsgeräten und anderen Gesundheitsgeräten reichen.

Diese Bedürfnisse, die vom Staat auf Rechte reduziert werden sollen: das Recht, sich zu treffen, zu zirkulieren, zu demonstrieren… solange der Staat es für angemessen hält.

Da unsere Bedürfnisse mit Rechten gehandelt werden, wird der Kampf auf das reduziert, was „der Staat tun sollte“. Das ist die Falle, die diese massive Einsperrung ermöglicht hat, während der größte Fortschritt der letzten Jahrzehnte beim Proletariat im Weltmaßstab stattfindet.

Keine Notwendigkeit für eine Verschwörung

Viele „Erklärungen“ für das Entstehen der Pandemie haben sich aus paranoiden Verschwörungsvorstellungen und rassistischen Vorurteilen speisen lassen. Befürworter der ersteren verstehen Staaten nicht als Garanten einer Weltordnung, die uns töten, schwächt und krank macht, sondern als dunkle Gestalten, die bestimmte Krankheiten einführen müssen, damit unser Leben wirklich schrecklich werden. Offensichtlich gibt es keinen Bedarf für eine solche Verschwörung. Die Staaten koordinieren sich effektiv miteinander, sogar diskret, um diese Ordnung zu gewährleisten, die einigen Gewinn bringt und das Leben der Mehrheit ruiniert.

Wir leben in einem System, in dem die Menschen in Entscheidungs- und Managementpositionen zum größten Teil vollkommen austauschbar sind, was bedeutet, dass das eigentliche Problem beim System selbst liegt und nicht bei den „Akteuren“. Dies zu sagen ist nichts Neues, so wie zu sagen, dass der Kapitalismus Krieg, Hunger und Krisen bringt, ohne dass jemand aus dem Schatten, aus verborgenen und okkulten Gruppen diese Tatsachen provozieren muss4.

Obwohl die „Theorien“ der Verschwörung eng mit Rassismus verbunden sind, gibt es eine direkt rassistische Erklärung, die auf einem soziokulturellen Vorurteil beruht: der angebliche Geschmack der Chinesen für den Verzehr fremder Nahrungsmittel wie Fledermaussuppe. Beide Erklärungsversuche vergessen die soziale Dimension des Themas.

Der gehorsame Bürger fürchtet einen Virus, der glaubt, dass er von außen kommt, denn für ihn kommen die schlechten Dinge immer von außen, es ist ein äußeres Problem. Er fürchtet sich vor einem Virus aus dem griechischen ἰός Toxin oder Gift. „Toxisch“, ein Wort, das so in Mode gekommen ist, dass es alles ausdrückt, was angeblich außerhalb des Individuums liegt und vor dem man sich fürchtet. So werden Beziehungen als toxisch bezeichnet, Menschen, die sie nicht mögen, sind toxisch, und diejenigen von uns, die protestieren, sind toxisch. Und so übernimmt der Einzelne, frei von Schuld und Schuldzuweisungen, keine Verantwortung für die Welt, in der er lebt, und vermeidet es, sich mit dem Rest zu vermischen, um nicht vergiftet5 zu werden.

Staat der Isolation

Es ist immer weniger das, was enthüllt werden muss. Staaten sprechen offen über die Verhängung von Maßnahmen der „sozialen Isolation“. Es würde genügen, über physische Distanzierung zu sprechen, aber sie ziehen es vor, transparenter zu sein.

In Argentinien hatte Alberto Fernandez seit September letzten Jahres, als er noch nicht Präsident war, wiederholt: „Vermeiden wir es, auf der Straße zu sein“. Das war die Empfehlung an seine Untertanen: in den letzten Monaten der Regierung Macri nicht zu protestieren, denn die Lösung lag in den Wahlurnen und nicht auf der Straße, d.h. im individualisierten Bürger (eine Person/eine Stimme) und nicht im Kollektiv. Er wollte, dass sich niemand daran gewöhnt, zu protestieren, denn der Peso würde gegenüber dem Dollar weiter abgewertet werden, die Arbeitslosigkeit würde steigen und unser Leben würde sich verschlechtern. Mit oder ohne Pandemie, wie General Perón sagte: „Von zu Hause zur Arbeit und von der Arbeit nach Hause“. Natürlich für diejenigen, die eine Arbeit und ein Zuhause haben.

Vor einigen Tagen bekräftigte der bereits im Amt befindliche Präsident, als er die Dauer der Quarantäne verdoppelte, dass „es ein Krieg gegen eine unsichtbare Armee ist, die uns an Orten angreift, wo wir es manchmal nicht erwarten“. Neuerlich ist Politik als Krieg mit anderen Mitteln zu verstehen. Deshalb geben sie angesichts einer Pandemie politische Lösungen, die schnell militärisch werden.

Sie entscheiden sich dafür, abzuwarten und uns dann einzusperren und zu unterdrücken, sowohl diejenigen, die infiziert sind, als auch diejenigen, die es nicht sind. Das Übliche in der Geschichte war die Quarantäne von Infizierten. Die Isolierung von Millionen von Menschen, die nicht an der durch die Quarantäne ausgelösten Krankheit leiden, ist ein neues Modell des Krisenmanagements. Es ist bemerkenswert, wie unmöglich es heute ist, sich auf das zu beziehen, was spezifisch national ist. Die Ereignisse wiederholen sich, manchmal buchstabengetreu, in verschiedenen Regionen an verschiedenen Tagen. Es ist eine beispiellose Situation, in der Proletarier in so vielen Ländern eine ähnliche Realität leben.

Die COVID-19-Pandemie wird als Labor für globale soziale Kontrolle genutzt. Diese Möglichkeit wird von der NATO und der Europäischen Union seit mindestens 2010 öffentlich geplant. Es ist nicht notwendig, konspirativ ein Laborvirus zu schaffen. Jahrzehntelang haben Staaten die Gründe, warum sie in einem Gebiet militärisch intervenieren können, erweitert. Zu den Aufständen, Revolten oder sogar Terroristen haben sie diejenigen im Zusammenhang mit „Naturkatastrophen“ oder Epidemien hinzugefügt. Sie stellen sie alle auf die gleiche Stufe, denn für sie ist es einfach eine Frage militärischer Operationen, die Ordnung wiederherzustellen, es ist ihnen egal, woher die Unordnung kommt6. Spezialisten sprechen bereits davon, das Virus weltweit zu bekämpfen, wie sie es mit dem Terrorismus tun.

Das ist die soziale Prävention, die die Bourgeoisie auf der ganzen Welt zur Verteidigung ihrer Profite einsetzt. Sie ist eindeutig nicht in der Lage, Phänomene wie Erdbeben zu verhindern, obwohl wir das von anderen wie Bränden oder Überschwemmungen nicht behaupten können. In beiden Fällen gelingt es aber auch nicht, ihre sozialen Folgen zu verhindern. Ebenso wenig kann sie eine Epidemie verhindern und die rasche Ausbreitung einer Krankheit auf dem Planeten stoppen. Ihr Ziel ist es nicht, unsere Gesundheit zu verteidigen, es sei denn, es handelt sich um ein Gesundheitsmanagement, das im Einklang mit seinen Gewinnen steht.

Wie Marx hervorhob: „Das Kapital berücksichtigt nicht die Gesundheit und die Lebenserwartung des Arbeiters, es sei denn, die Gesellschaft zwingt ihn, sie zu berücksichtigen. Auf den Anspruch gegen körperliche und geistige Atrophie, gegen vorzeitigen Tod und die Qualen exzessiver Arbeit antwortet das Kapital: Sollen wir von dieser Qual gequält werden, wenn sie unser Vergnügen (Profit) steigert? Aber im Allgemeinen hängt dies auch nicht vom guten oder schlechten Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Der freie Wettbewerb zwingt dem einzelnen Kapitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion als zwingendes äußeres Gesetz auf.“

Diejenigen, die die ausgebeutete und unterdrückte Klasse, das Proletariat, bilden, denken notwendigerweise und gewöhnlich wie ihre Herren. Und sie beginnen, sich um diese oder jene Krankheit zu kümmern, wenn der Staat und das Kapital sie als nationales Gesundheitsproblem bezeichnen. Nicht, dass die Coronavirus-Pandemie kein großes Problem wäre, aber sie ist zufällig nicht das einzige.

Panik und Klischees zirkulieren schneller als das Coronavirus. Im Gegensatz zu dem, was man uns glauben machen will, kann das Coronavirus nicht das Hauptproblem auf dem Planeten sein, wenn es nach offiziellen Angaben 925 Millionen unterernährte Menschen gibt.

Ohne sehr weit zu gehen, verhungert Argentinien, und Millionen sterben nicht, sondern sind unterernährt. Nach Angaben des INDEC selbst ist jeder dritte Argentinier arm, d.h. mehr als 14 Millionen Menschen. Trotzdem schicken der Staat und seine menschlichen Verstärker Tausende von Menschen in diesem Land, die kein Trinkwasser haben, sich mit Wasser und Seife zu waschen, die sich außerhalb ihrer Häuser Trinkwasser holen müssen, während gleichzeitig Obdachlose angewiesen werden, zu Hause zu bleiben, oder miserable Subventionen über das Internet verwaltet werden.

Das ist also auch in Argentinien nicht das Hauptproblem. In Bezug auf die Gesundheit sei daran erinnert, dass es nicht einmal die Krebstoten im Zusammenhang mit dem Einsatz von Agrotoxinen an der argentinischen Küste geschafft haben, so viele Menschen zu vereinen oder eine Schock- und Wachsamkeitshaltung auszulösen, wie sie in der gegenwärtigen Situation zu beobachten ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Coronavirus-Quarantäne das Versprühen der toxischen Agrochemikalien nicht stoppte, aber das scheint den guten Bürger wenig zu kümmern, der in einen Zustand der Aussetzung der Vernunft eingetreten ist und nun nur noch ein Problem zu befürchten hat, nämlich Panik zu verbreiten und auf die Lösung des Staates zu warten. „Dies geschieht nun schon seit einigen Tagen, es scheint, dass sie sich den Präsidialerlass, der die soziale Isolation erzwingt, zunutze machen, um unkontrolliert auszuräuchern“, sagte ein Bewohner von Ramayón (Santa Fe), der es vorzog, seine Identität zu schützen7.

Verankert in ihren Häusern und durch „soziale Netzwerke“ rufen Millionen von Bürgern dazu auf, zu Hause zu bleiben, notfalls mit Beleidigungen, und üben sich darin, die Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte anzuprangern und tatsächlich zu unterstützen, die dazu ermutigt wurden, Nachbarn in den Straßen zu misshandeln, zu schikanieren und zu unterdrücken. Sie haben Angst davor, miteinander in Kontakt zu kommen, sich gegenseitig anzustecken.

Das Gedenken an den Staatsstreich von 1976 wurde mit der Androhung des Belagerungszustands durch Hauptmann Beto begangen. Am 24. März feierte der argentinische Staat mit mehr als 16.000 Menschen, die allein in den ersten drei Tagen der im Dringlichkeitsdekret 297/2020 vorgesehenen Sofortmaßnahmen festgenommen wurden, und mit Todesfällen, die bei den Unruhen in den Gefängnissen Coronda und Las Flores (Santa Fe) gezählt wurden, die aufeinander folgten, angesichts der Angst der Gefangenen, sich bei den Gefängniswärtern mit dem Virus anzustecken, was aufgrund der überfüllten Gefängnisse, des Gesundheitszustands und der internen Gesundheitsdienste zu einem Massaker führen könnte.

Regierungsanhänger, nicht nur von links, äußerten sich beredt über die gesamte nationale Situation: „Der Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie kam als abrupte Erinnerung daran, dass Staaten dazu da sind, ihre Bürger zu schützen. (…) dass ohne den Staat der Mensch ist des Menschen Wolf. (…) Wir müssen endlich die Grenzen des sakrosankten freien Unternehmertums erkennen. Der Kampf gegen die Pandemie hat uns daran erinnert, dass das allgemeine Interesse es rechtfertigen kann, jeder menschlichen Tätigkeit Grenzen zu setzen“.

Es sollte den Liberalen klar sein, dass es keine Möglichkeit gibt, ihre Profite im Notfall zu retten, außer durch staatliche Kontrolle und Repression.

„Verstehen Sie, dass dies ein Moment der Ausnahme ist, wir müssen nicht in das falsche Dilemma fallen, dass es sich um Gesundheit oder Wirtschaft handelt, eine Wirtschaft, die fällt, steigt immer, aber ein Leben, das endet, heben wir nicht wieder auf“, sagte der argentinische Präsident. Offensichtlich hält es die Bourgeoisie, mit einem Taschenrechner in der Hand, für besser, einen großen Teil der Produktion zu stoppen, als sich einem möglichen gesundheitlichen Zusammenbruch stellen zu müssen. In nicht so außergewöhnlichen Momenten scheint dieses „Dilemma“ nicht so wichtig zu sein, während Tausende von Menschen an Krebs durch das Versprühen toxischer Agrochemikalien sterben. Hinzu kommt alle 14 Stunden ein Arbeiter aufgrund von so genannten „Arbeitsunfällen“ um8.

In dieser sozialen Krise, die durch die Pandemie und vor allem durch die ergriffenen Maßnahmen noch verschärft wird, müssen wir gegen die repressive Eskalation und das mitschuldig gewordene Schweigen der Bürger kämpfen. Wir müssen gegen die Rechtfertigung jeglicher Empörung kämpfen, sei es im Namen der Wirtschaft, der „Gesundheit“ oder der „Einheit der Nation“.

Es gibt keine „Snobs“ (Chetos im Original, A.d.Ü.), es gibt soziale Klassen

Es wird versucht, nicht nur die Verbreitung des Virus, sondern auch seine sozialen Folgen zu erklären. Diese Erklärung, und gleichzeitig Ansprache, kommt, um uns zu sagen, dass es sich um eine Krankheit der Snons – Chetus (oder Cuicos, oder Pitucos, je nach Land) handelt, die durch Reisen in der ganzen Welt im Urlaub verbreitet wird. Es wird mehr und mehr von Klasse gesprochen, um nicht vom bestehenden Klassenantagonismus zu sprechen, sondern von soziokulturellen Klassen. Die soziale Klasse wird so auf den persönlichen Geschmack eines Teils der Gesellschaft reduziert und scheint bereits eher ein Geisteszustand als eine materielle Existenzbedingung zu sein. Obwohl sie heute aus einer sehr weit zurückliegenden Vergangenheit zu stammen scheint, war die Bande von Rugbyspielern, die Fernando Baez Sosa in einer Bowlingbahn in Buenos Aires zu Tode geprügelt hatte, bis vor einem Monat fast die einzige Nachricht, die in den Medien kursierte. Zehn Personen sind des Mordes angeklagt, acht von ihnen befinden sich in Haft. Es ist eine Geschichte, in der die Guten gut und die Bösen böse sind. Fernando war ein Kind von Einwanderern, wurde aber in Argentinien geboren, aus einer Arbeiterfamilie. Und die Rugbyspieler waren unangenehm, rassistisch und aus der, wie man sagt, oberen Mittelschicht. Es gibt diejenigen, die darin eine Form des Klassizismus sehen wollten. Und da mag es etwas geben, aber wie bei denen, die von außerhalb des Landes kommen, handelt es sich um einen soziologischen Klassizismus.

Wir sprechen nicht von Klassen rund um die kapitalistische Ausbeutung, sondern von einem kulturellen und identitätsbezogenen Gesichtspunkt aus. Auf der anderen Seite ist es ein Klassizismus, der um das kreist, was in Argentinien als Mittelklasse gilt. Wenn auf den Rassismus der Rugbyspieler hingewiesen wird („scheiss schwarzer, wir bringen dich um“), wird sofort auf ihren Klassenkult hingewiesen, aber es ist der Klassenkult junger Leute, die nicht aus der höchsten Bourgeoisie kommen, und wir wissen nicht einmal, ob sie aus der Bourgeoisie kommen, es ist der Klassenkult einiger Snobs-Chetos. Die Familie Fernandos ihrerseits ist auch nicht arm oder marginal, wie die Mehrheit der jungen Menschen, die in diesem Land ermordet werden, meist durch die staatlichen Sicherheitskräfte, oder bei den Verbrechen des Drogenhandels, für die sie sicherlich größeres Empathie erzeugt haben.

Es mag sein, dass „die Romantisierung der Quarantäne ein Klassenprivileg ist“. Denn Krankheit, Angst vor Krankheit oder die Verpflichtung zur Einsperrung sind nicht für alle Bürger auf argentinischem Territorium oder in irgendeinem anderen Teil der Welt gleich. Wir sind gleich vor dem Gesetz, was immer bedeutet, dass wir bei der Anwendung und den Folgen des Gesetzes völlig anders sind.

Aber angesichts des Beharrens auf „Klassenprivilegien“ müssen wir berücksichtigen, was mit Klasse gemeint ist, was mit Privilegien gemeint ist und woher die Klassen und Privilegien kommen. In diesem Sinne ist es notwendig, die Zusammensetzung der kapitalistischen Klasse zu beachten und auf eine tiefgründige und kritische Weise zu verstehen und keine Slogans zu wiederholen, die an den moralischen Sinn appellieren, eben den jüdisch-christlichen und kapitalistischen Sinn. Wenn wir die Frage von Ausbeutung, Unterdrückung und Herrschaft beiseite lassen, werden wir nicht verstehen, in welcher Gesellschaft wir leben. Und wir werden am Ende Snob-Cheto auf der einen Seite und arm auf der anderen Seite sehen, ohne jede Art von Produktions- und Reproduktionsweise. Deshalb gibt es diejenigen, die glauben, dass unsere Herrscher nicht -Snobs-Chetos sind, sondern mit dem Menschen sein würden. Die leichte Kritik von Charakteren wie Macri oder Bullrich an der vergangenen Regierung oder die Kritik an gewalttätigen und unverantwortlichen Snbos-Chetos verbirgt die Notwendigkeit, die Bourgeoisie und die Politiker als Funktionäre des Kapitals und des Staates zu kritisieren. Ein fortschrittlicher Klassizismus, der nur auf Individuen und nicht auf soziale Beziehungen abzielt, ist nicht nur oberflächlich, sondern sehr günstig für die herrschende Ordnung.

Öffentliche Gesundheit und Arbeitskräfte

Wenn es politisch sehr unkorrekt ist, den Fortschritt zu verteidigen, ohne sich einen Blatt vor dem Mund zu nehmen, die zerstörerischste Industrialisierung, „intelligente“ Waffen, die Besessenheit von Geschwindigkeit oder die Uhr selbst zu verteidigen, wird die Medizin oft dazu benutzt, die Vorteile des Fortschritts und der Wissenschaft zu rechtfertigen, indem sie die Ideologie der Effizienz in die Praxis umsetzt: Eine solche Krankheit wird um jeden Preis geheilt, auch wenn die Lösung mit anderen, nicht so vorteilhaften Problemen einhergeht, auch wenn die Art und Weise, wie sie produziert werden, mehr Krankheiten erzeugt, auch wenn brutale Experimente an Menschen und anderen Tieren durchgeführt werden. Trotz dieser „hohen Kosten“ werden die Kranken überhaupt nicht geheilt, und der gleiche nicht heilende Prozess hat mehr Menschen krank gemacht und getötet, als er heilen konnte. Die angebliche Wirksamkeit ist also nicht so, sie ist eine Täuschung, nicht nur wegen ihrer kurz- und langfristigen Folgen, sondern auch im unmittelbaren Bereich.

Für die institutionelle Medizin ist der Kranke ein passives Element, ein Patient (vom lateinischen patris: Leidende), der im Krankenhaus wie eine kaputte Maschine aufgenommen wird, die einen wirksamen Eingriff benötigt, um wieder zur Normalität zurückzukehren. Selbst wenn der Arzt, die Krankenschwester oder der Student das Gegenteil tun will, sind die Bedingungen so entscheidend, dass es sehr schwer ist, aus der Form auszubrechen9.

So wie die Medizin als das beste Alibi für Wissenschaft und Fortschritt fungiert, so ist die öffentliche Gesundheit zur Verteidigung des Staates.

„Wir sind keine Helden, wir sind Arbeiter“, sagen diejenigen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, die in verschiedenen Teilen der Welt unter den erschöpfenden Arbeitszeiten angesichts der Pandemie leiden, mit knappen Ressourcen und minimalen Sicherheitsbedingungen. Dieses Märtyrertum, dem die Arbeiter unterworfen sind, ist Teil der Opferlogik, die das Kapital dem Leben in dieser Welt auferlegt, auch wenn es uns das Gegenteil verkaufen will.

Wenn uns gesagt wird, dass das Leben im Vordergrund steht, fragen wir uns ungläubig, von welchem Leben sie sprechen. Spezialisten überhäufen uns oft mit Zahlen wie der Kindersterblichkeitsrate oder der Lebenserwartung, um ein Loblied auf die kapitalistische Entwicklung zu singen. In diesem Fall bohren sie seit Monaten mit drei Ziffern in unsere Köpfe, mit denen sie versuchen, jeden anderen Aspekt der Realität in den Hintergrund zu drängen: die Zahl der Kranken, Toten und Genesenen vom Coronavirus. Diese Zahlen sagen nichts über die Lebensbedingungen der proletarischen Klasse aus, darüber, wie wir vor der Pandemie waren und wie wir nach der Pandemie sein werden. Wir sind Subjekte der Unterordnung des Qualitativen unter das Quantitative, des Konkreten unter das Abstrakte.

Dass das Leben auf Ziffern auf einem Bildschirm reduziert werden kann, liegt daran, dass unter der Herrschaft des Kapitals die große Mehrheit der Menschen nur als Arbeitskraft wichtig ist. Die Gesundheitssysteme wurden entsprechend den reproduktiven Bedürfnissen der Arbeitskräfte im Dienste der Ausbeutung umgestaltet. Natürlich sind wir mit dieser Realität konfrontiert, und in der Tat ist unsere Gegenwart das Produkt aufeinanderfolgender Niederlagen unserer Klasse gegen den Vormarsch des Kapitals. Aber solange wir uns gegen einen existenzsichernden Lohn verkaufen müssen, können sich die Gesundheitspraktiken nicht der Logik der Leistung entziehen, die sich um das Symptom und nicht um die Ursache kümmert, die Nutzungsdauer zu verlängern sucht und sich um die Arbeitskräfte kümmert, als wäre es irgendein anderer Produktionsinput.

Wir hören wieder Slogans von der Linken wie „unser Leben ist mehr wert als Ihr Verdienst“, was uns zu Recht daran erinnert, dass sie nicht danach streben, über den Streit um den Wert unserer Arbeitskraft hinauszugehen, wenn es doch darum geht, dass nichts im Leben irgendeinen Wert hat! Der Abbau des Gesundheitssystems während der letzten Jahrzehnte wird dazu benutzt, uns mit der Kritik am Neoliberalismus zu erdrücken, der zunehmend als Diskurs zur Verteidigung des staatlichen Interventionismus und nicht als Ablehnung des Kapitalismus funktioniert. Die Kritik an den Gesundheitssystemen von Ländern wie den Vereinigten Staaten oder dem Vereinigten Königreich sowie deren liberale Rhetorik, die sich in Figuren wie Bolsonaro wiederholt, wird von einem inbrünstigen Statismus geleitet, in dem die Coronavirus-Ziffern Teil eines widerwärtigen ideologischen Krieges um die Führung des Staates zu sein scheinen. Sogar gegen die chinesische Regierung und ihre „Fähigkeit“, die Krankheit unter Kontrolle zu bringen, sind Abwehrmaßnahmen im Umlauf, mit der Begründung, sie sei „noch nicht vollständig kapitalistisch“. Der Bau eines Riesenkrankenhauses in 10 Tagen spricht für die schockierende Produktionskapazität eines Landes, nicht für seine Sorge um die Gesundheit. Tatsächlich scheint die gegenwärtige Situation für China letztendlich eine Gelegenheit zu sein, seine wirtschaftliche Position auf dem Weltmarkt zu stärken.

Der Artikel von Chuang warnt uns, dass die Ausbreitung des Coronavirus „nicht verstanden werden kann, ohne die Art und Weise zu berücksichtigen, in der Chinas Entwicklung der letzten Jahrzehnte im und durch das globale kapitalistische System das Gesundheitssystem des Landes und den Zustand der öffentlichen Gesundheit im Allgemeinen geformt hat. (…) Das Coronavirus konnte ursprünglich Wurzeln schlagen und sich aufgrund einer allgemeinen Verschlechterung der medizinischen Grundversorgung in der Allgemeinbevölkerung rasch ausbreiten. Aber gerade weil diese Degradierung inmitten eines spektakulären Wirtschaftswachstums stattgefunden hat, wurde sie hinter dem Glanz glänzender Städte und riesiger Fabriken versteckt. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die Ausgaben für öffentliche Waren wie Gesundheitsfürsorge und Bildung in China nach wie vor extrem niedrig sind, während der größte Teil der öffentlichen Ausgaben in die Ziegel- und Mörtelinfrastruktur geflossen ist: Brücken, Straßen und billige Elektrizität für die Produktion“.

Angesichts eines solchen Grades der Verarmung der Mindestbedingungen für das Überleben in allen Teilen der Welt, der zu der gegenwärtigen Verschärfung noch hinzukommt, wird der Vorschlag zur Reform des Staates, seiner Institutionen, seiner Politik, mit der Flagge der öffentlichen Gesundheit an der Spitze, verstärkt. Wir dürfen nicht vergessen, dass es der Staat ist, der der wirtschaftlichen Entwicklung unterliegt und nicht umgekehrt. Und dass Gesundheit und Leben nur dann über dem Profit stehen werden, wenn es von dieser Welt hinweggefegt wird

„Wir befinden uns im Krieg“

„Die COVID-19-Pandemie ist eine Krise wie keine andere. Es sieht aus wie ein Krieg, und in vielerlei Hinsicht ist es auch einer. Es sterben Menschen. Die Angehörigen der Gesundheitsberufe stehen an vorderster Front. Diejenigen, die in den grundlegenden Diensten, der Lebensmittelverteilung, den Lieferdiensten und der öffentlichen Versorgung arbeiten, machen Überstunden, um diese Bemühungen zu unterstützen. Und dann gibt es die versteckten Soldaten: diejenigen, die gegen die Pandemie kämpfen, die in ihren Häusern eingesperrt sind und nicht in der Lage sind, voll zur Produktion beizutragen. In einem Krieg stimulieren massive Rüstungsausgaben die Wirtschaftstätigkeit, und wesentliche Dienstleistungen werden durch Sonderbestimmungen garantiert. In dieser Krise sind die Dinge komplizierter, obwohl ein gemeinsames Merkmal die gewachsene Rolle des öffentlichen Sektors ist“. (Wirtschaftspolitik für den Krieg gegen COVID-19, aus dem IWF-Blog über lateinamerikanische Wirtschaftsfragen)

Der argentinische Präsident wies darauf hin, dass „wir gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen.“ Dies war nicht originell, da andere Präsidenten das Gleiche taten. „Wir befinden uns im Krieg“, sagte Präsident Emmanuel Macron in einer Rede vor dem französischen Volk, in der er die nationale Einheit verteidigte. Derselbe Präsident, der den Kampf der „gelben Westen“ unterdrückt und einäugige und einhändige Menschen mit ihrer nicht tödlichen Repression zurücklässt10. Pedro Sanchez, der sozialistische Präsident Spaniens, forderte die Europäische Union zur historischen Mobilisierung von Ressourcen auf, um dem Coronavirus mit demselben Alibi zu begegnen: „Wir befinden uns im Krieg.“ Es ist eindeutig zivilisierter, als der Bevölkerung offen den Krieg zu erklären, wie es Sebastián Piñera letztes Jahr in Chile getan hat11.

Einer der reichsten Menschen Argentiniens, Claudio Belocopitt, der sich entschied, den Angestellten von Swiss Medical, einem seiner Unternehmen, keinen bezahlten Kinderbetreuungsurlaub zu gewähren, sagte: „Wir sind Hauptdarsteller, aber wir sind keine Theaterregisseure. Dies ist ein Krieg.“ Und er fügte hinzu: „Der Präsident muss verstehen, dass wir ihm alles geben werden. Alles, was benötigt wird. Aber wir müssen zusammenarbeiten, dies ist ein Krieg, wir müssen zusammenarbeiten“.

Einige Bourgeois verweisen auf die Ausnahmesituation der Entlassung, der Nichtzahlung von Tagen und der Lohnkürzung, andere ziehen es vor, den Klassenkampf offen anzuerkennen und auf ihre Verbündeten hinzuweisen.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, die Coronavirus-Pandemie „ist die komplizierteste Krise, mit der die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert war“. Die Vergleiche klingen übertrieben, und wir beginnen uns zu fragen, warum der Kriegsrhetorik so viel Bedeutung beigemessen wird.

Krieg ist die drastischste Antwort des Kapitals auf seine Aufwertungskrisen. Wenn andere Mechanismen wie fiktives Kapital, produktive Umstrukturierung und aufeinanderfolgende Wirtschaftskrisen eine ausreichende Reaktivierung nicht zulassen, ist es der Krieg, der den Weg für eine neue und dauerhaftere Phase der Aufwertung öffnet. Das Kapital erreicht den paradoxen Punkt, dass es einer brutalen Entwertung bedarf, um der Aufwertung einen neuen Impuls zu geben.

Wir bringen dies zur Sprache, weil viele überrascht sind, dass in diesem Kontext der Pandemie so viele Unternehmen ohne große Klagen den Produktionsstopp mit den damit verbundenen wirtschaftlichen Verlusten abgelehnt haben. Diese Tatsache scheint das beste Argument zu sein, um uns glauben zu machen, dass wir in diesem Schiff alle zusammen sind, dass Leben tatsächlich vor Profit kommen würde.

Wir halten es für notwendig, darüber nachzudenken, ob dieses Szenario des Weltkrieges angesichts der Pandemie, der Massenentlassungen, der Anpassung, Eindämmung, Unterdrückung und sozialen Kontrolle, der Neukonfiguration verschiedener Sektoren des produktiven Sektors, der Transformation und Verarmung der Arbeits- und Beschäftigungsformen nur einer Notwendigkeit entspricht, die der Wirtschaft in der Krise innewohnt, die im Coronavirus den idealen Feind gefunden hat, um eine Reihe von Maßnahmen zu rechtfertigen, auf die sich die so sehr gewünschte Reaktivierung stützen kann12.

Wie wir bereits in Bezug auf die Aufstandsbekämpfung sagten, begünstigen sowohl der „unsichtbare Feind“ als auch die Versammlungen des „inneren Feindes“ die Ansiedlung und Ausdehnung neuer oder verbesserter Kontroll- und Unterdrückungssysteme in den Territorien. Wenn der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist und die Gesundheitsfrage als vorrangige Politik festgelegt wird, wird Gesundheit zum Status des Krieges. Was sich nicht ändert, ist, dass der Krieg die Wirtschaft nur mit anderen Mitteln zum Ausdruck bringt. Und die überfallenen, disziplinierten, unterdrückten und massakrierten Menschen werden immer von uns den Ausgebeuteten und Unterdrückten ausgestellt.

Wir können sehen, wie sehr diese Gesellschaft des Wettbewerbs und der Gewalt jedem Ereignis gegenübersteht, als wäre es ein Krieg. Selbst im Angesicht eines Virus handelt man taktisch im Sinne von Verteidigung, Angriff und Beherrschung. Eine Krankheit kann Leid, Tod und Schmerz bringen, aber das macht sie noch lange nicht zu einem Krieg. Und sie wird nicht mit Gewehren, Panzern und Patrouillenwagen bekämpft, wie es die Staaten der Welt tun. Wir müssen es in seiner Gesamtheit angehen, gemeinsam und 9 stark, und das ist im Eingesperrtsein und dem Terror, denen wir ausgesetzt sind, unmöglich.

Der „Kollateralschaden“ dieses so genannten Krieges ist in Sicht. Der Präsident von Uruguay, Luis Lacalle Pou, sagte, die so genannten „Femizide“ seien „Kollateralschäden“, die durch die Quarantäne auferlegt werden. Vom ersten Tag der Zwangseinweisung an wurde die Zahl der Frauen gezählt, die in ihren Häusern von ihren Ehemännern oder Lebensgefährten ermordet wurden. Aber es gibt noch viel mehr „Kollateralschäden“, die unmöglich zu zählen sind: „nicht-tödliche“ innerfamiliäre Übergriffe, sexueller Missbrauch, Fälle von Depressionen und Verschlechterung der psychischen Gesundheit, aufgezwungene Einsamkeit, das Eingesperrtsein, das Leid, das die Gefangenschaft für Kinder mit sich bringt.

Was also die Lebensbedingungen des Weltproletariats weiter verschlechtert, ist nicht nur ein Virus, sondern die Panik, die durch Staatsterror, Gefangenschaft, Isolation, die Kriminalisierung direkt menschlicher und daher notwendigerweise körperlicher Beziehungen, offene Repression und Militarisierung ausgelöst wird. Brutale Bedingungen, die das Kapital „angesichts des Grauens des Virus“ in den Städten, auf dem Land, in proletarischen Vierteln, in Krankenhäusern, Gefängnissen, psychiatrischen Krankenhäusern und Flüchtlingslagern auferlegt. All dies kommt zu der Arbeitslosigkeit, den Schulden und dem Elend hinzu, das kurzfristig zu explodieren beginnt, was zeigt, dass das Heilmittel die Krankheit verschlimmert.

Die völlige oder teilweise Isolation unserer Liebsten bedeutet die Aufhebung der emotionalen Bindungen, die unser Leben bestimmen. Das schwächt uns nicht nur emotional, sondern lässt uns auch der Gnade der seltsamen Gesellschaft verschiedener technologischer Geräte ausgeliefert sein. Bildschirme, tastbar oder nicht, die uns mit ihrer Überinformation bombardieren und die zwischen der Welt und uns vermitteln und uns nur durch die Virtualität in Kontakt halten. Die Inaktivität der Gefangenschaft führt zur körperlichen Erschöpfung und damit auch zur allmählichen psychischen Erschöpfung. Ebenso erschöpft uns die Ungewissheit über die Zukunft und die vorherrschende Panik emotional, was auch körperliche Erschöpfung zur Folge hat. Es sei daran erinnert, dass in den Kriegen der letzten Jahrzehnte die Zahl der Toten, Kranken und Selbstmörder der Nachkriegszeit doppelt so hoch war wie die Zahl der Gefallenen in der Konfrontation-Auseinandersetzung.

Das Coronavirus hat die Wirtschaftskrise nicht verursacht

Vielmehr verschlechtert sie den Prognosehorizont der bürgerlichen Ökonomen, da der Plan, das Virus weltweit einzudämmen, auf Kosten einer weiteren Vertiefung der Konjunkturabschwächung produziert wird.

Wie Raul Zibechi kürzlich in seinem Artikel Das Coronavirus als Vertuschung der Systemkrise feststellte: „Die Verbindung von Handelskrieg, Brexit, öffentlicher und privater Verschuldung und wachsender Ungleichheit war bereits verheerend, als das Coronavirus auftauchte. Daher ist die Epidemie nicht die Ursache der Wirtschaftskrise, sondern ihr Katalysator. Es versteht sich von selbst, dass die führenden Politiker der Welt, insbesondere die der wirtschaftlich aufstrebenden Länder, die Pandemie als Erklärung für die Wirtschaftskrise und die daraus resultierenden außergewöhnlichen Maßnahmen heranziehen können.

Doch bereits im Januar dieses Jahres veröffentlichte der Internationale Währungsfonds seine Prognosen auf der 50. Jahrestagung des Wirtschaftsforums in Davos und revidierte und korrigierte seine bisherige Wachstumsprognose für 2020-21 mit niedrigeren Werten als erwartet. Seine wichtigste Schlussfolgerung war, dass sich die Weltwirtschaft in einer „gefährlich verletzlichen“ Situation befindet. Bei diesen Treffen analysiert der IWF die Entwicklung der Weltwirtschaft nach ihren verschiedenen politischen, kommerziellen, geopolitischen und kulturellen Aspekten sowie die der „natürlichen“ Katastrophen, die immer schärfer werden (Wirbelstürme, Brände, Überschwemmungen und Dürren).

Eine nicht weniger wichtige Tatsache im Zusammenhang mit dem „wirtschaftlichen Abschwung“ ist schließlich die Entwicklung massiver sozialer Proteste im Jahr 201913. Die Situation, die in etwa 20 Ländern, von denen wir einige erwähnt haben, zu beobachten war, hat angesichts des Experiments der sozialen Kontrolle in fast 200 Ländern, das wir durchmachen, ein anderes Terrain betreten.

Verschiedene Ökonomen sind sich darin einig, dass die Weltwirtschaft seit dem Ende der Krise 2008-09 und bis zum vergangenen Jahr nicht in einer Depression oder Rezession, aber auch nicht in einem starken Wachstum steckt. Die Volkswirtschaften des Euroraums und Japans stagnierten weiterhin, das Wachstum in den Vereinigten Staaten und Kanada war schwach und in den rückständigen Ländern relativ stark. Seit 2009 gibt es eine längere Periode schwachen oder halb stagnierenden globalen Wachstums und geringer Investitionen.

Der Ausbruch des Coronavirus ist Teil dieser besonderen finanziellen Situation und der schwachen Akkumulation, in der Rückgänge in Produktion und Nachfrage sowie sich verschärfende finanzielle Schwierigkeiten eine Rückkopplung und einen Verstärkungseffekt auf die Krise selbst haben.

Angesichts des derzeitigen wirtschaftlichen Abschwungs ist es sehr wahrscheinlich, dass sich unsere Ausbeutung vertiefen wird. Vor uns liegen Zeiten steigender Arbeitslosigkeit, sinkender Löhne und sich verschlechternder Lebensbedingungen.

Arbeit, Arbeit, Arbeit!

Die Krise wird die Arbeitsbedingungen verschlechtern. Sie wird weitreichende negative Auswirkungen auf diejenigen haben, die in den Arbeitsmarkt eintreten, und auf die Lohnabhängige im Allgemeinen. Nach einer Einschätzung der IAO werden schätzungsweise 5,3 bis 24,7 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, während 22 Millionen Menschen durch die globale Finanzkrise 2008-2009 entlassen wurden.

Die IAO schätzt auch, dass weltweit zwischen 8,8 und 35 Millionen mehr Menschen in Arbeitsarmut leben werden, verglichen mit der ursprünglichen Schätzung für 2020, die einen Rückgang von 14 Millionen weltweit voraussagte.

Es wird auch erwartet, dass die Unterbeschäftigung exponentiell zunehmen wird, da sich die wirtschaftlichen Folgen des Virusausbruchs nicht nur in einer Reduzierung der Arbeitszeiten und Löhne, sondern auch in einer Verlagerung auf andere Arbeitsbereiche niederschlagen werden.

Gegenwärtig ist das Kapital dabei, sich umzustrukturieren und die proletarische Klasse unter die humanitäre Prämisse zu stellen, um sich den Bedürfnissen der Akkumulation und Reproduktion anzupassen.

Die kapitalistische Zerstörung schafft neue Produkte und Marktchancen, wie zum Beispiel den Biotechnologiesektor, der bisher in Asien, insbesondere in Israel, extrem konzentriert ist. Hauslieferungen nehmen zu, und auch der Internethandel wuchs so stark an, dass z.B. Amazon anfing, weitere 100.000 Arbeitskräfte für seine Geschäfte in den Vereinigten Staaten zu suchen, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen.

Auch „Arbeit zu Hause – Homeoffice“ wird immer beliebter. Internetportale bieten Informationen und Tipps für die Einrichtung des Home-Office. Es wird sicherlich billiger sein, Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten zu lassen als am Arbeitsplatz, während Software eine effektive Überwachung ermöglicht.

Unabhängig davon, wer in dieser nicht geringen Krise sein Leben bezahlt und riskiert, verschlechtern die Unternehmer systematisch die Arbeitsbedingungen in so genannten „wesentlichen Arbeitsplätzen“. In allen Fällen werden die Verhandlungen über Löhne und Arbeitsbedingungen auf eine Art und Weise verschoben und flexibilisiert, die undenkbar gewesen wäre. Lohnkürzungen werden vorbereitet und die Suspendierungen werden erhöht.

Zurück zur Normalität?

Offensichtlich handelt es sich um eine kritische Situation, die uns, von oben auferlegt, hyper-atomisiert vorfindet. Bevor wir also Slogans aufrütteln oder Projekte des sozialen Kampfes ins Leben rufen, sollten wir uns daran erinnern, dass diese Situation nicht durch große oder kleine Kämpfe ausgelöst wurde, sondern durch die Behandlung, die eine Handvoll Staaten einer sich ausbreitenden Krankheit zukommen ließen.

Sicherlich gibt es diejenigen, die das wahre Gesicht dieser Gesellschaft sehen, wenn ein solcher Schock eintritt: relativ plötzlich und vor allem nah. Andere hatten bereits die Merkmale der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzes wahrgenommen und artikuliert. Nun, es ist Zeit, sich zu treffen und gemeinsam nachzudenken. Es ist nicht die Zeit, das Nachdenken oder Handeln auszusetzen, denn wir müssen uns einfach isolieren, uns säubern und uns abschotten. Auf der anderen Seite führt das Denken in der Gefangenschaft führt zu Schlussfolgerungen aus der Gefangenschaft selbst. Es gibt zwar immer einen Moment des persönlichen Nachdenkens, aber das reicht nicht aus. Auch die so genannte Selbsterkenntnis ist auch bei anderen.

Die Bourgeoisie erkennt in vielen Artikeln in ihrer Presse an, dass „die Welt, wie wir sie kennen, nicht zurückkehren wird“, und es wird offensichtlich zum Wohle des Kapitals sein. Die Aussichten sind nicht rosig (siehe Kasten, A.d.Ü., weiter unten, wird haben diesen Absatz „Grauen Kasten“ genannt).

Dieser brutale globale Schlag gegen das Proletariat hat die Isolation, den Individualismus, das gegenseitige Misstrauen verstärkt, sowie Arbeitsplätze mit einem Federstrich weggefegt und kann die Arbeitsformen verändern, wie es das Kapital seit seiner Gründung mehrfach getan hat. Schließlich wurden die auf das Virtuelle reduzierte Gefangenschaft und der auf das Virtuelle reduzierte Kontakt auf lange Wochen ausgedehnt, in denen Millionen von Menschen sich nicht treffen, berühren oder riechen konnten, sondern verbunden (A.d.Ü., Via Internet z.B.) blieben. Wir betonen erneut, dass in dieser weltweiten Quarantäne direkt menschliche und daher notwendigerweise körperliche Beziehungen kriminalisiert worden sind.

Tausende von Unternehmen konnten ihrerseits endlich Kosten sparen, indem sie ihre Mitarbeiter von zu Hause zur Arbeit schickten. Viele andere wurden entweder ohne Arbeit oder ohne Bezahlung nach Hause geschickt. Die Staaten intensivieren ihre Kontrolltechniken und -technologien. Vermehrte Reisekontrollen, Smartphone-Anwendungen, Verhaltensüberwachung und obligatorische Gesundheitstests. Es überrascht nicht, dass China auch beginnt, sein leistungsorientiertes Staatssystem zu exportieren, das mit einer Technologie zur Messung des „sozialen Wertes“ jedes Bürgers entwickelt wurde.

Chinas bereits eingeführtes Kreditsystem wird durch die Kombination und Integration verschiedener Technologien wie Großdaten, Gesichtserkennung und Internetüberwachung ermöglicht, die durch mehr als 600.000 Überwachungskameras mit künstlicher Intelligenz unterstützt wird. Das ist es, was sie unverhohlen „Kommunismus“ nennen.

Die meisten nationalen Regierungen sind gestärkt aus einer ungünstigen Gesundheitssituation hervorgegangen, auf die sie nur mit Repression und Gefangenschaft-Einsperrung reagieren konnten. Und die Vorstellung vom Staat ist noch stärker geworden, weil er entweder das getan hat, was er hätte tun sollen, oder weil jemand kommen wird, der es tut wird.

Bisher bestand die wichtigste Reaktion der Bürger, von links nach rechts, darin, den Staat aufzufordern, bei seinen Gesundheitsmaßnahmen wirksam zu sein (mit der Forderung nach Isolierung, Quarantäne und, falls erforderlich, verstärkter Repression). Darüber hinaus fordern sie, wenn auch in geringerem Maße, Trinkwasser und Lebensmittel, einen Stopp der Entlassungen, die Zahlung von Gehältern, bessere Bedingungen für diejenigen, die in diesen Quarantänezonen arbeiten müssen, und sogar die Einstellung der Zahlung von Mieten und Steuern. Aber die Forderung nach Isolation und/oder Gefangenschaft ist nicht das beste Szenario, um unsere Bedürfnisse durchzusetzen. Mehr noch als bei anderen Gelegenheiten gibt es keinen Kampf, sondern Forderungen, die die Legitimität des Staates stärken.

Aber nicht alles ist Frieden und Stille. In dieser Situation beginnen die Streiks in der Automobilindustrie in Spanien, Italien und Kanada. Proteste von Amazonas-Arbeitern in Frankreich, Spanien und den Vereinigten Staaten wegen ausbeuterischer Bedingungen. Miet- und Besetzungsstreiks in einigen Städten der Vereinigten Staaten.

Es gab auch Plünderungen in verschiedenen Ländern und Unruhen in Gefängnissen und Haftanstalten, unter anderem in Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Libanon, Argentinien und Brasilien.

Und dies scheint nicht zu verschwinden, sondern eher zuzunehmen. Trotz Angst, Misstrauen und Kontrolle lässt die Solidarität nicht lange auf sich warten, ebenso wenig wie die Selbstorganisation zur Bekämpfung der sozialen Folgen einer Pandemie in einer kapitalistischen Welt. Doch öffentliche oder diskrete Netzwerke zwischen Nachbarn, Freunden und Nahestehenden sowie Volxsküchen sind noch immer eine Ausnahme. Die Frage ist, wie wir verhindern können, dass diese Kämpfe von Verzweiflung erstickt werden oder nur Gesten sind, die zeitlich und räumlich begrenzt sind.

Von einem radikalen Standpunkt aus betrachtet, geht es, um das Problem an der Wurzel zu packen, nicht darum, Maßnahmen vorzuschlagen, die der Staat und die übrige Bourgeoisie durchführen sollten, um einfach nur ihre Funktion zu erfüllen, sondern darum, die Bedürfnisse durchzusetzen, trotz des Staates, der nur dazu da ist, den Profit über das Leben siegen zu lassen.

Wenn man davon ausgeht, dass das Leben unter dem Kapital ein Leben des Todes ist, von Pandemien, von Krankheiten, die durch diese Produktionsweise hervorgerufen werden, müssen wir anfangen zu handeln und darüber nachzudenken, wie wir gegen diese Lebensbedingungen in diesem neuen Szenario kämpfen können. Wir müssen darüber nachdenken, warum sich die Bourgeoisie, mit den Staaten an der Spitze, in diesem speziellen Fall in diese Art von Maßnahmen gestürzt hat. Und natürlich müssen wir darüber diskutieren, was zu tun ist, wie wir die Medienidiotie bekämpfen und vor allem, wie wir der kommenden größeren Sparsamkeit und Kontrolle entgegenwirken können.

Dieser allgemeine Produktions- und Umlaufstopp hat wiederum drastische Veränderungen bewirkt, die zwar nicht von langer Dauer sein werden, die uns jedoch einige Anhaltspunkte liefern können. Die Emission von Schadstoff- und Treibhausgasen ist drastisch zurückgegangen, was zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in den betroffenen Regionen geführt hat und die Zahl der Atemwegserkrankungen aus diesem Grund sogar gesunken ist. So ist beispielsweise ein deutlicher Rückgang der Verkehrsunfälle und der so genannten „Arbeitsunfälle“ zu verzeichnen, deren „normale“ Todeszahlen keineswegs denen einer Pandemie entsprechen. Diese unerwartete Situation sollte uns veranlassen, über den Zusammenhang nachzudenken, den die Versorgung des Monsters der Wirtschaft mit Nahrung mit der Zerstörung des Lebensraums, in dem wir leben, zu tun hat, oder zumindest versuchen wir es. Wenn die Quarantäne vorüber ist, wird die Luft gereinigt und das Wasser kristallklar. Wir sind nicht stumpfsinnig, wir sind uns bewusst, wie begrenzt und außergewöhnlich diese Phänomene sind und dass sie gleichzeitig mit Monokultur, Megabergbau, Abholzung und so vielen anderen Schädlichkeiten auftreten, die nicht aufgehalten wurden. Wir sehen und bemerken einfach, wie die Welt in so kurzer Zeit verändert werden kann.

Da es die Entscheidung des Staates war, die Wirtschaft in bestimmten Regionen zu lähmen, wird leider auch die Macht, sie wieder in Gang bringen, dem Staat zufallen, und aus diesem Grund werden sich die momentanen Vorteile einer solchen Aussetzung in wenigen Tagen auch wieder umkehren. Diese Beispiele hinterlassen jedoch eine Lektion in den Prioritäten eines Systems, in dem die Wertproduktion über die Gesundheit sowohl der Menschen als auch des Ökosystems der Erde selbst herrscht. Und es treibt uns an zu bekräftigen, dass das gegenwärtige Produktionssystem für das Überleben der Spezies abgebaut werden muss.

Die Realität ist so pervers, dass wir eingeengt-isoliert-eingesperrt und ängstlich zur Normalität zurückkehren wollen, aber wie sie aus allen Regionen in Aufstand schreien, in denen diese Maßnahmen vorübergehend pausiert haben: Die Normalität ist das Problem!

(Grauer Kasten)

1972 veröffentlichte eine Gruppe von Experten des Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Auftrag des Club of Rome einen Bericht mit dem Titel „The Limits to Growth“ (Die Grenzen des Wachstums), in dem die ökologischen, klimatischen und sozialen Katastrophen, die die kapitalistische Entwicklung mit sich brachte, detailliert beschrieben wurden. Vor einigen Tagen veröffentlichte ein Experte vom MIT einen Artikel mit dem Titel Let’s face it, the lifestyle we knew will never come back 12, in dem er uns in seinem klassisch ruhigen und neutralen Ton erklärt, wie diese Pandemie unser Leben verändern wird:

„Wir wissen natürlich nicht genau, wie diese neue Zukunft aussehen wird. Aber man kann sich eine Welt vorstellen, in der man sich, um einen Flug zu nehmen, bei einem Dienst anmelden muss, der die Bewegungen der Passagiere per Telefon verfolgt. Die Fluggesellschaft wäre nicht in der Lage zu sehen, wohin sie geflogen sind, würde aber alarmiert werden, wenn sich Passagiere in der Nähe von bestätigten Infizierten oder Krankheitsherden aufhalten. Ähnliche Anforderungen gäbe es für den Zutritt zu großen Einrichtungen, wie z.B. Regierungsgebäuden oder öffentlichen Verkehrszentren. Es gäbe überall Temperaturscanner, und an Ihrem Arbeitsplatz müssten Sie möglicherweise einen Monitor tragen, um Ihre Temperatur oder andere Vitalparameter zu überprüfen. Diskotheken führen derzeit Alterskontrollen durch und können in Zukunft auch einen Immunitätsnachweis verlangen: einen Personalausweis oder eine Art digitale Überprüfung am Telefon, dass die Person bereits genesen ist und gegen den neuesten Virusstamm geimpft wurde.

Wir werden uns an diese Maßnahmen anpassen und akzeptieren, so wie wir uns an die immer strengeren Sicherheitskontrollen auf Flughäfen im Gefolge von Terroranschlägen gewöhnt haben. Aufdringliche Überwachung wird als ein kleiner Preis für die Grundfreiheit, mit anderen zusammen zu sein, angesehen werden.

Darüber hinaus werden wie üblich die tatsächlichen Kosten von den Ärmsten und Schwächsten getragen werden. Auch Menschen mit weniger Zugang zur Gesundheitsversorgung und Menschen, die in Gebieten leben, die anfälliger für Krankheiten sind, werden häufiger von Orten und Möglichkeiten ausgeschlossen, die allen anderen offen stehen. Die Selbständigen, von Fahrern über Klempner bis hin zu Yoga-Lehrer, werden ihre Arbeitsplätze noch prekärer finden. Einwanderer, Flüchtlinge, Menschen ohne Papiere und ehemalige Strafgefangene werden auf ein weiteres Hindernis stoßen, um in der Gesellschaft Fuß zu fassen.

Darüber hinaus könnten Regierungen und Unternehmen, sofern keine strengen Regeln für die Berechnung des Erkrankungsrisikos einer Person aufgestellt werden, beliebige Kriterien wählen: Ein Jahresverdienst von weniger als 30.000 Euro könnte als Risikofaktor angesehen werden, ebenso wie eine Familie von mehr als sechs Personen, die beispielsweise in bestimmten Teilen eines Landes lebt. Das öffnet der algorithmischen Voreingenommenheit und versteckten Diskriminierung Tür und Tor, wie im vergangenen Jahr bei einem von US-Krankenversicherern verwendeten Algorithmus, der, wie sich herausstellte, versehentlich Weiße begünstigte.

Die Welt hat sich viele Male verändert, und jetzt verändert sie sich wieder. Wir werden uns alle an eine neue Art zu leben, zu arbeiten und miteinander in Beziehung zu treten anpassen müssen. Aber wie bei allen Veränderungen wird es einige geben, die mehr verlieren werden als die meisten.

1 A.d.Ü., Krankheit und Kapital von A.M.Bonanno zu finden auf unseren Blog

2 Das Covid-19-Regime aus einer revolutionären Klassenperspektive in sieben Schritten, von uns auch übersetzt

3 El terror a lo invisible – Der Terror auf das Unsichtbare, Susanna Minguell www.elsaltodiario.com/ coronavirus/el-terror-a-lo-invisible

4 Hay algo más allá de nuestras narices. Crítica a las teorías de la conspiración. Mariposas del caos, 2009

5 A.d.Ü., im Originalen steht „intoxicarse“, was vergiften beudetet, aber im Text wird ein Wortspiel gemacht, welches sich auf den vorherigen Satz bezieht: „So werden Beziehungen als toxisch bezeichnet, Menschen, die sie nicht mögen, sind toxisch, und diejenigen von uns, die protestieren, sind toxisch. Und so übernimmt der Einzelne, frei von Schuld und Schuldzuweisungen, keine Verantwortung für die Welt, in der er lebt, und vermeidet es, sich mit dem Rest zu vermischen, um nicht vergiftet (intoxicarse) zu werden.“

6 Wie gesagt, dues kann in ihren öffentlichen Dokumenten gelesen werden. Siehe auch das Buch, Militär in den Straßen, welches ursprünglich im Jahre 2010 veröffentlich wurde und den Untertitel von «Urban Operations in the year 2020» von der NATO, trägt. (A.d.Ü., auf deutsch zu finden: https://translationcollective.wordpress.com/2012/08/17/militar-in-den-strasen-einige-fragen-zum-nato-bericht-urban-operations-in-the-year-2020/)

7 Komplette Nachricht lesen (auf spanisch): www.conclusion.com.ar/ noticias-destacadas/la-cuarentena-por-el-coronavirus-no-frena-las-fumigaciones-con-agrotoxicos/03/2020

8 Dies ist die Ziffer die die Gruppe Basta de asesinatos laborales, in ihren jährlichen Bericht von 2019 zusammenrechnete. Siehe: www.facebook.com/bastadeasesinatoslaborales

9 Rausgenommen aus dem Artikel Wissenschaft und Krankheit- Ciencia y enfermedad, von Cuadernos de Negación Nr. 8: Kritik der kapitalistischen Vernunft – Crítica de la razón capitalista. Erhältlich auf: cuadernosdenegacion.blogspot.com

10 Siehe La Oveja Negra Nr.68, Internationale Verletzungen – Heridas internacionales

11 Siehe La Oveja Negra Nr.66, In Zeiten der Revolte: Chile und Ecuador – En tiempo de revueltas: Chile y Ecuador

12 Diesbezüglich empfehlen wir das Pamphlet Al respecto recomendamos el panfleto de Proletarios Internacionalistas: Contra la pandemia del capital ¡Revolución social!

13 Wir empfehlen diesbezüglich die Publikation: Zu den Revolten von 2019 – A propósito de las revieltas de 2019, veröffentlicht von der Bibliothek, La Caldera de Buenos Aires. Erhältlich auf ihrer Webseite: lacalderalibros.tumblr.com

Quelle: http://panopticon.blogsport.eu/2020/04/26/la-oveja-negra-jahr-neun-nummer-69-april-2020/

Boletín La Oveja Negra nro.69: Coronavirus und soziale Fragen

Über ein Spektakel, das keines sein sollte

Am 1. Mai wurde ein siebenköpfiges Kamerateam des ZDFs, davon drei Securities, nach einer Demonstration, von 15-25 vermummten Menschen in Berlin-Mitte angegriffen. Sechs der Angegriffenen mussten direkt ins Krankenhaus. Die Angreifer*innen waren verschwunden als die Bullen am Tatort eintrafen. Soweit so gut. Etwas später wurden jedoch in der Nähe sechs verdächtige Personen vorläufig festgenommen. Nun wird davon ausgegangen, dass es sich bei mindestens zwei der Verdächtigten um Leute aus dem „linken Spektrum“ handelt.

Es ist schon lustig zu sehen, wie ein Vorfall dieser Art für Aufruhr sorgt und es zu einem breit diskutierten Spektakel konstruiert wird: Bürgerliche Journalist*innen flippen aus, weil sie sich anscheinend trotz und durch ihrer kollegialen Konkurrenz persönlich angegriffen fühlen. Etliche (radikale) Linke entrüsten sich über eine derartige Gewalt gegen Pressevertreter*innen und drücken ihre Solidarität den Opfern gegenüber auf Twitter, Facebook etc. aus. Nazis freuen sich, dass der, aus ihren Augen linken Medienmaschinerie, etwas entgegengesetzt wird oder sind vorerst froh, dass doch nicht wie anfangs vermutet, Rechte dahinterstecken. Politiker*innen fabulieren über das Grundrecht der Pressefreiheit und fordern im gleichen Atemzug ein härteres repressives Vorgehen ihres Rechtsstaates. Viele davon suchen nach einer Motivation oder Erklärung weshalb – anscheinend – Linke so etwas tun sollten und verurteilen gleichzeitig die Tat.

Mich wundert es nicht, wenn sich Menschen verabreden, um den öffentlichen Massenmedien zu zeigen, was sie von ihnen halten. Unabhängig davon wer die Täter*innen sind oder was ihre Motivation ist, möchte ich dennoch hier festhalten: Schön, dass die bürgerliche Presse mal wieder eins aufs Maul bekommen hat.

Wie das Arschloch von Seehofer konsequenterweise zu dem Vorfall erklärt hat, ist „[d]ie Freiheit der Presse […] eine Säule [der] Demokratie.“ Eine Säule, die notwendigerweise zerstört werden muss, um sich von der Herrschaft der Demokratie befreien zu können. Dies wird meines Erachtens sehr oft von sogenannten Linksradikalen, aber auch von Anarchist*innen grundlegend verkannt. Ich entledige mich nicht von einem Staat durch Übernahme, geschweige denn durch Verteidigung einer seiner Institutionen. Die bürgerliche Presse ist unweigerlich mit den Machstrukturen eines Staates verflochten. Hierbei möchte ich nur einen Punkt anführen, der dem Pressegeschehen, als auch der heutigen Demokratie strukturell inhärent ist: Die Repräsentation. Durch einen ideologisch genährten Blick auf die Realität, auf das wirkliche Leben, wird versucht, Aspekte daraus herauszugreifen und diese repräsentativ den Massen zur Schau zu stellen. Sei es in der Tageszeitung oder von einem Regierungssprecher. Das führt zwangsläufig zu einer verschobenen, wenn nicht gar entwerteten Sicht der Dinge. Dass die heutige Demokratie mit ihren Wahlen und Politiker*innen ohne Repräsentation nicht möglich wäre, brauche ich nicht weiter zu erläutern.
Die Pressefreiheit ist kein Gut an sich, dass zu schützen – von wem auch immer – es wert wäre, sondern ein institutionelles Instrument der bürgerlichen Herrschaft über das Individuum. Das könnte daran liegen, weil es sich dabei um eine vermeintliche Freiheit des Schreibens, Berichterstattens und Publizierens handelt. Auch wenn theoretisch vieles gesagt werden dürfte, ist fast alles was gesagt wird, einem politisch-ideologischen Spektrum, nämlich dem der kapitalistisch-demokratischen Sphäre zuzuordnen. Die bürgerliche Presse ist nur innerhalb der Grenzen ihres rechtsstaatlich strukturierten Konsens frei und verortet sich selbst bewusst darin. Was soll das für eine Freiheit sein, die sich an solche imaginären Grenzen hält? In der IDT#7 [1] wird darauf hingewiesen, dass die Tradition der Pressefreiheit eine grundlegende Plage der Zivilisation ist, die „seit der Zeit der „aufgeklärten“ absoluten Regimes die Bevölkerung durch Zwangsmaßnahmen in ihrer Lebensführung anzugleichen sucht.“ Einer Presse die ideologisch hinter der Existenz eines Staates steht, mit seinen Handlanger*innen, den Politiker*innen, allerlei Beamt*innen und Akteuren der Wirtschaft zusammenarbeitet und mit ihnen ein herrschaftliches Netz des normierten Lebens aller Individuen kreiert, kann ich gegenüber nur feindlich gestimmt sein. Solange derlei Taten zu einem Spektakel gemacht werden, über das sich von Horst bis zum lieben Nachbar das Maul zerrißen wird, sind solche Hiebe gegen die herrschende Ordnung notwendig. Und deshalb begrüße ich jeden Angriff auf die Schweine der Presse.

[1] „Don’t be the media, hate the media!“ – In der Tat, Ausgabe 7.

https://zuendlumpen.noblogs.org/post/2020/05/06/ueber-ein-spektakel-das-keines-sein-sollte/

Pandemie Kriegstagebücher – First of May Edition

„Das Desaster ist ja, dass es wirklich absolut keine Linke gibt….Da ist nur Leere… Da ist nichts, überhaupt nichts mehr.“

Nanni Balestrini

Fangen wir damit an, was als einziges überhaupt noch Sinn macht, weil alles jenseits davon, all die verpufften Affekte, all die ohnmächtige Wut, Trauer, all die überbordende Angst sich wie in einer Versuchsanordnung in der völligen Agonie der Isolation und Vereinzelung auflösen, als hätte es sie nicht gegeben. Fangen wir also mit der Hoffnung an, von der es an anderer Stelle heißt, ein Mensch könne einen Monat ohne Essen, eine Woche ohne Trinken, aber keine vier Sekunden ohne sie überleben. Reden wir also von der Hoffnung.

Eingereichter Beitrag. Geschrieben von Sebastian Lotzer.

Reden wir davon, wie sich die trostlosen Straßen Kreuzbergs wieder gefüllt haben, reden wir davon in all die Gesichter zu schauen, in die das Leben zurückgekehrt schien. Reden wir davon, wir wir unser Lächeln wiederfanden, wenn wir alten Genossinnen und Genossen wieder begegneten, reden wir von unserem Zögern, uns wirklich zu umarmen, reden wir von dem Schmerz, den wir verspürten, wenn wir unsere instinktiven Bewegungen aufeinander zu unter Kontrolle brachten und verlegen halbherzig, ja geradezu tollpatschig ungelenke Bewegungen vollzogen. Reden wir von unserer Scham, den Menschen, mit dem wir so viele Gefahren geteilt haben, der uns in vielen Momenten Bruder, Schwester geworden war, nicht von vollem Herzen zu umarmen.

Reden wir von den Bullen, die überall herumlungerten und uns beäugten und uns wie kleine Kinder ansprachen, um uns an Abstandsregelungen zu erinnern, die sie selber einen Scheissdreck interessierten. Reden wir von der Verachtung, die ihnen entgegen schlug. Reden wir also von diesem wunderschönen Abend Anfang Mai, dieser Stunde, wenn die Abendsonne die Oranienstraße in ein ganz eigenartiges Licht taucht. Reden wir von der Luft, die so herrlich frisch war, reden wir von all dem was für ein paar Momente möglich erschien.

Reden wir davon, dass wir unseren eigenen Worten lauschen konnten, weil nicht an jeder Ecke Bässe brummten, dumpfer Partymob sich die Birne zu ballerte, reden wir davon, dass so viele Transparente zu sehen waren wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Reden wir davon, dass wir in der Lage waren, ein Kräfteverhältnis herzustellen, in dem unser Gegner darauf verzichtete, uns auseinander zu jagen. Reden wir davon dass wir Tausende waren, reden wir davon, dass es das erste Mal war, seitdem man uns eingesperrt und unserer Rechte beraubt hatte. Reden wir davon, dass jedem Anfang ein Zauber inne wohnt.

Reden wir davon, dass wir weniger als unsere Gegner waren, aber wir trotzdem klüger und siegreicher sein können. Reden wir davon, dass uns dieser Tag wirklich etwa bedeutet, etwas das in all den letzten Jahren verloren schien, wo wir wie eine Schafherde selbsternannten Anführen und ihren Trucks hinterher getrottet waren. Reden wir davon, dass wir nicht mehr all den dummen Reden, den ewig gleichen Satzbausteinen lauschen mussten. Reden wir davon, das wir hätten Geschichte schreiben können. Reden wir davon, dass wir diese Gelegenheit verpasst haben. Reden wir darüber, warum dies passiert ist.

Bewege dich in schwierigem Gelände ständig weiter“

Die Kunst des Krieges – Sun Tzu

Kein Aufmarsch, keine feste Formation, keine Form die kontrolliert werden kann, keine Menge, die eingeschlossen werden kann. Keine Richtung, die vorgegeben ist, sich jederzeit wenden können, Überraschungsmomente schaffen. So haben wir angefangen, so hätte es weitergehen können. Man spürte die Unsicherheit der Bullen, ihre Schwierigkeiten im Anfangsstadium sich unserer Taktik anzupassen. Dann begann das Zögern, das Warten, wurden im Hintergrund Anweisungen gegeben, denen blind gefolgt wurde. Unser erster Fehler. Unser Gegner wusste nun, wo er uns zu erwarten, uns in Empfang nehmen konnte. Verlegte seine Truppen, blockierte Straßen, fing an uns zu zerstreuen und zu hetzen. Wir hätten nun unsererseits anfangen können, ihn zu blockieren, Baustellen hätte den Weg auf die Straße finden können, wir hätten uns in verschiedene Richtungen zerstreuen können, entgegengesetzten Bewegungen vollziehen können. Aber wir hetzen nur von dem einem vorgegebenen Punkt zum nächsten. Begnügten uns damit, überhaupt da zu sein, anstatt uns selbstbewusst Teile des Terrains anzueignen. Trotzdem war die Sache noch nicht verloren.

An der Kottbusser Brücke plötzliche Dynamik, die Bullen konnten nur noch hinterher hecheln. Am Wassertorplatz die Wanne der Einsatzleitung (die steht dort jedes Jahr) ohne Schutz, ein, zwei Flaschen, dann konnten die Anführer unserer Gegner schon wieder durchatmen. Von nun an wurde es mit jeder Querstraße schwieriger für uns. Aus den Bereitstellungsräumen fluteten die Hundertschaften den Kiez, die Bullen von der PMS bekamen neuen Mut, zogen sich ihre Westen über und liefen einfach zu dritt am Rande mit. Ein weiterer Bullenwagen, nur mit einem Fahrer besetzt, stand quer, wurde umflossen, kein Kratzer war hinterher zu sehen. Jetzt wurde unserem Gegner klar, dass wir uns selbst beschränkten, dass wir nur gekommen waren, um überhaupt da zu sein. Der Rest ist schnell erzählt und allseits bekannt. Alles strömte zum schon abgeriegelten Mariannenplatz, dort dann wieder Statik, Ohnmacht, Prügel und Festnahmen. Ein paar Steine und Farbbeutel in der Manteuffel und dann hatten wir schon unseren anvertrauten Ersten Mai wieder. Jede weitere offensive Option war Geschichte.

Die größte Verwundbarkeit ist die Unwissenheit”

Die Kunst des Krieges – Sun Tzu

Wir leben ohne Zweifel in schwierigen Zeiten. Wir leben in Zeiten des erhöhten Risikos, aber auch der erhöhten Chancen. Alles ist brüchig und durchlässig, jede Erzählung kann morgen schon der Vergangenheit angehören. Wir werden eingesperrt und entrechtet, die Alten, die Behinderten, die psychisch Kranken, die Obdachlosen, die Flüchtlinge, die Frauen die Zuhause geschlagen werden, die Proleten Familie, die jetzt jeden Abend zu fünft in der zu kleinen Bude hockt, sind noch beschissener dran. Jenseits unserer Welt des Wohlstandes verlieren gerade Hunderte von Millionen Menschen ihre Lebensgrundlagen. Seit den ersten Tagen der weltweiten Ausgangssperren gibt es Widerstand, weil es für viele um Alles geht. In Afrika, in Südamerika plündern sie Supermärkte, an vielen Orten beleben sich trotz der realen Gesundheitsgefahren die Straßen und Plätze mit Menschen die bereit sind zu kämpfen, weil weiteres Abwarten unerträglich ist, wenn man nichts zu fressen hat und nur noch in den Abgrund der Armut schaut. Im Libanon brennen Tag für Tag die Banken und alle Welt schaut genau hin.

Ein Großteil der Linken hat sich der Erpressung der Eliten gebeugt, stellt das Narrativ der Alternativlosigkeit nicht in Frage. Als wenn wir jemanden bräuchten, der uns erzählt, was wir zu tun haben, um uns und unsere Nachbarn, Freunde, die Menschen um uns herum zu schützen. Wir handeln aus der Liebe zu den Menschen, das unterscheidet uns von unseren Todfeinden, die vorgeben sich auf einmal um die Alten und Schwachen zu kümmern, die sie sonst vor sich hin vegetieren und krepieren lassen. Wenn wir am Ersten Mai in Kreuzberg waren, “um demokratischen Protest auszuüben” (Stellungnahme 1.Mai Bündnis), dann waren wir umsonst da. Es geht nicht darum, zu protestieren, es geht auch nicht darum, “sich Gehör zu verschaffen in den kommenden Verteilungskämpfen” (Taz), in dieser Sackgasse hat sich ein Großteil der Linken schon vor langer Zeit verlaufen.

Sehr viele Menschen auf der Welt haben am Ersten Mai genau nach Kreuzberg geschaut. Das erste Mal seit vielen Jahren. Die Aktionen in SO 36 waren mit die ersten Massenaktionen in Europa seit der Verhängung des Ausnahmezustandes auf fast dem gesamten Kontinent. Für viele wäre ein Tag, der mit einem (temporären) Kontrollverlust des Empires zu Ende gegangen wäre, ein Zeichen der Ermutigung gewesen. Es gab in den letzten Wochen viele Aufrufe aus Italien, Spanien, Frankreich, sich aus der Schockstarre heraus zu kämpfen, sich vertraut zu machen mit dem neuen Terrain, auf dem wir uns jetzt zwangsweise bewegen müssen. Wir werden wieder grundsätzlich zu atmen, laufen, zu reden, uns zu lieben lernen müssen. Zu vieles ist in den letzten Wochen unter den Menschen kaputt gegangen. Wird in den nächsten Monaten kaputt gehen. Es steht zu befürchten, dass wir in den kommenden Wochen nicht wieder so zahlreich sein werden wie am Ersten Mai. Dass wir auf einen gut aufgestellten Gegner treffen werden.

Ich habe bereits versucht, die Form des Despotismus zu beschreiben, mit der wir rechnen müssen und vor der wir uns unermüdlich schützen müssen”

Giorgio Agamben

Wenn der Widerstand in Europa gegen das neue Regime, das dabei ist, sich zu entfalten, nicht auf die Revolten der abgehängten Jugendlichen in Frankreich, Belgien,… beschränkt bleiben soll, werden wir uns taktische Fehler wie am Ersten Mai nicht mehr leisten können, weil dies bereits jegliche Option zu einer strategischen Suchbewegung hierzulande unterbindet. Es gibt ein grundsätzliches Bedürfnis nach einer Welt jenseits der Angst und Reglementierung. Dies hat auch die rege Beteiligung an der antiautoritären Demonstration zum 1. Mai in Athen gezeigt, an der trotz einer bis zum 4. Mai geltenden Ausgangssperre um die 5.000 Menschen teilgenommen haben. Das Notstandsregime wähnt sich auf dem Höhepunkt seiner Macht, scheinbar so widerstandslos hat es sich durchsetzen können. Aber genau darin liegt auch seine Brüchigkeit, weil es nichts anderes anzubieten hat als eine langanhaltende Trostlosigkeit, die sich nur aus dem Versprechen von Fürsorge und Paternalismus nährt. Auf den Strassen schreiben wir Geschichte. Dystopie oder Freiheit.

https://enough-is-enough14.org/2020/05/02/pandemie-kriegstagebuecher-first-of-may-edition/

Eine der Folgen der staatlichen #COVID19 Maßnahmen ist eine Zunahme patriarchaler häuslicher Gewalt: Ciao Vivi

Die Nachricht von der Ermordung einer 34-jährigen Frau aus Bergamo, Viviana, wurde vor einigen Tagen durch Mundpropaganda und zeitungsberichte verbreitet. Ein weiterer Akt patriarchalischer Gewalt: Viviana wurde von ihrem Partner aus Eifersucht brutal zusammengeschlagen und starb nach sechs Tagen im Koma aufgrund der gemeldeten Verletzungen. In diesen Zeiten, in denen der Staat uns Maßnahmen auferlegt, die uns dazu zwingen, zu Hause eingesperrt zu bleiben, und sogar vorgibt, zu entscheiden, was unsere Hauptanliegen sein sollen (an deren Spitze natürlich die blutsverwandte Familie und das stabile Paar stehen), sind die Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt noch zahlreicher als sonst. Paare und Familie sind die Säulen der heteronormativen, für den Staat funktionalen Gesellschaftsordnung. In der Rhetorik der vom Papa-Staat auferlegten Ordnungen, des #restiamo a casa und der Trikolorflaggen werden familistische und patriotische Werte mit einem fauligen faschistischen Geruch wiederbelebt. Viele Frauen und LGBT-Personen befinden sich derzeit in schwierigen Situationen, weil sie gezwungen sind, in unterdrückenden Beziehungen oder mit einer Familie zusammenzuleben, die sie nicht akzeptiert, sie können nicht weggehen und haben keine Möglichkeit, ihre Unterstützungsnetze zu erreichen, die hauptsächlich aus freundschaftlichen Bindungen bestehen. Einige von uns haben Viviana in einem besetzten Haus oder bei einem Punkkonzert kennen gelernt oder sie vielleicht bei einer Demonstration getroffen. Mehrere Jahre lang hatten wir uns aus den Augen verloren, aber diejenigen, die sie kannten, erinnern sich an sie als ein süßes, sonniges, liebenswertes Mädchen, das ein solch schreckliches Ende gewiss nicht verdient hat. Wir werden nichts vergessen und nichts verzeihen. Es soll nie wieder gesagt werden, dass das Patriarchat nicht existiert oder Schnee von gestern ist. Damit unsere Beziehungen endlich ein freier Austausch zwischen Individuen sind und nicht Käfige der Besitzansprüche. Damit diese mörderische Zivilisation mit all ihren Fundamenten zusammenbricht, einschließlich jenen, die in uns zementiert sind.

Ciao Vivi

Eine der Folgen der staatlichen #COVID19 Maßnahmen ist eine Zunahme patriarchaler häuslicher Gewalt: Ciao Vivi

Chroniken des Ausnahmezustandes Nr. 7 – Wandzeitung aus #Trentino

1. Mai in Rovereto

Am 1. Mai gingen etwa zwanzig Gefährt*innen für etwa eine Stunde im Arbeiter*innenviertel Fucine mit einer Reihe von ausgedehnten Interventionen an den Gebäuden von Itea (Istituto Trentino Edilizia Agevolata) [1] auf die Straße. Wie auch am 25. April in Brione war dies eine Gelegenheit, sowohl über die strukturellen Ursachen der Epidemie zu sprechen – die alle mit der kapitalistischen Art der Ausplünderung und Ausbeutung der Natur zusammenhängen – als auch darüber, wie die Confindustria und die Regierung damit umgegangen sind und ein Massaker angerichtet haben. Im Rahmen dieser Initiative wurden die Einwohner*innen von Itea, welche sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden (die Verantwortlichen der Provinzbehörde kündigten ein Mietstopp für Ladenbesitzer*innen, aber nicht für Mieter*innen an), aufgefordert, sich zu organisieren, um keine Miete zu zahlen. Es wurde betont, dass das Verbot mehr Menschen unter freiem Himmel zu treffen – das auch nach dem 4. Mai fortbestehen wird -, uns isolieren und passiv gegenüber dem halten soll, was sie für uns vorbereiten: die Kredite, welche die Regierung von den europäischen Institutionen und den inländischen Gläubigern (Banken, Versicherungen, Investmentfonds) fordern wird, werden durch eine verstärkte Ausbeutung der Arbeiter*innen und der ärmsten Schichten der Gesellschaft zurückgezahlt, ein Aspekt, in dem sich „Pro-Europäer*innen“ und „Souveräne“ einig sind. Um sich dem – und der Einführung von 5G – zu widersetzen, ist es notwendig, soziale Eindämmungsmaßnahmen verantwortungsvoll zu verletzen. Einige Bewohner*innen – vor allem junge Menschen – haben die Initiative ergriffen. Zwei Polizeistreifen hingegen haben sich auf Distanz gehalten.

„Wenn wir arbeiten können, können wir auch streiken.“

Unter diesem Slogan wurden in den meisten Logistikketten zwischen dem 30. April und dem 1. Mai Blockaden und Streiks organisiert. In Bologna, in Casoria, in der Provinz Neapel, in Turin, in Campi Bisenzio, in Calenzano, in Modena (wo die Proteste bereits Anfang der Woche begonnen hatten). Und dann Genua, Mailand, Brescia, Bergamo, Piacenza, Florenz, Rom, Caserta… Wieder einmal bestätigten sich die Spediteur*innen – zumeist Immigrant*innen – als der kämpferischste Sektor der Lohnklasse. Auch die Fahrer*innen aus Turin und die Transportreiniger*innen aus Neapel streikten, und am 30. April blockierten sie die U-Bahn.

Im Bauch der Bestie

Während die italienischen Medien nur den Protesten der Trump-Anhängerinnen Raum geben, welche die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit ohne Wenn und Aber fordern (dieselbe Position, die die Liga einnimmt und die auch von den Faschistinnen vertreten wird, welche versuchen, sich hinter den „Trikolormasken“ zu verstecken), gab es am 1. Mai in den Vereinigten Staaten massive Streiks gegen Giganten wie Amazon, Whole Food, Walmart, Target. Die Forderungen sind die Schließung der Standorte, an denen es zu Ansteckungen gekommen ist, keine Einschränkungen bei den Tests für potentiell infizierte Arbeiter*innen, die Zusatz Entlohnung von gefährlicher Arbeit, die Unterbrechung der Lieferung von nicht lebensnotwendigen Gütern und das Ende der Vergeltungsmaßnahmen gegen Arbeiter*innen, welche mehr Sicherheit am Arbeitsplatz fordern. Krankenpfleger*innen gingen vor 130 Krankenhäusern in 13 Staaten auf die Straße, um neues Personal zu rekrutieren, gegen den Mangel an Schutzausrüstung und gegen Versuche, die Demonstrant*innen zum Schweigen zu bringen. Gemeinsamer Nenner dieser und vieler anderer Demonstrationen, ist der Widerstand gegen Einsparungen und militärische Intervention durch die Stars and Stripes. Seit März sind mindestens 140 wilde Streiks in den gesamten Vereinigten Staaten dokumentiert worden. Unterdessen breitet sich der Mietstreik in Kalifornien, im Bundesstaat New York, in Missouri und mehreren Großstädten aus.

„Verbunden“

Sich zu fragen, welchen praktischen Nutzen die uns seit mehr als einem Monat auferlegten Regeln zur Eindämmung der Ansteckung haben, hat sich bisher als eine grundlegende Übung des kritischen Geistes erwiesen. Ab dem 4. Mai, dem Datum der berüchtigten „Phase 2“, werden sich die Einschränkungen unserer Freiheiten (insbesondere der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit) nicht ändern, aber es wird möglich sein,… wen zu besuchen? In der ersten Version waren es die Angehörigen. Proteste. Sie haben das missverstanden, wir meinten stabile Beziehungen. Dieses Theater zeigt einmal mehr, dass bestimmte Maßnahmen sehr wenig mit Gesundheit zu tun haben. Welchen praktischen Nutzen hat es gegenüber der Eindämmung der Ansteckung, nur Verwandte treffen zu können? Schützen uns Familienbande vor einer Ansteckung? Gibt es eine Art Herdenimmunität, die mit dem Nachnamen verbunden ist? Die Antwort liegt für uns auf der Hand.

In den nächsten Tagen werden viele Aktivitäten wieder aufgenommen (abgesehen von den sicherlich nicht lebenswichtigen, welche nie aufgegeben wurden, wie z.B. Unternehmen, die Waffen produzieren); wir werden wieder mit nahezu voller Kapazität produzieren und konsumieren. Wir werden jedoch nicht zu unseren bedeutsamen sozialen Bindungen, unseren Freundschaften, unseren Kompliz*innen zurückkehren: jene, die auf dem Papier weniger wert sind als ein Verwandtschaftszertifikat. Geduld für diejenigen, die keine Familie haben oder diejenigen, welche die Beziehungen zu ihr abgebrochen haben, weil sie anderswo Zuneigung, Verständnis, Gegenseitigkeit gefunden haben.

Arbeit, Haus, Familie: dies ist das Wichtigste!

Aber wenn wir der sozialen Organisation, welche Pandemien verursacht, ein Ende setzen wollen, müssen wir auch lautstark die Bedeutung all unserer Bindungen betonen, insbesondere die uneigennützigsten und authentischsten – welche oft nichts mit Familien zu tun haben.

Gemeinsamkeiten

Alle Ausdrucksformen des menschlichen Lebens durch das Gesetz zu erfassen, ist eine totalitäre Utopie. Totalitär, weil ihre Verwirklichung Menschen zu maschinenähnlichen Wesen machen würde; Utopie, weil der Staat niemals alles kontrollieren kann, was wir tun. Aber er kann sich nähern, und zwar sehr stark, indem er die günstigsten Möglichkeiten nutzt. Was haben die Dekrete, die im Namen des Coronavirus-Notstands erlassen wurden, mit den zahllosen Freiheitsberaubungsgesetzen gemeinsam, welche die Geschichte dieses Landes durchzogen? Nicht nur und nicht so sehr die massenhafte Ausweitung der Beschränkungen, sondern die Tatsache, dass diese Dekrete – indem sie die Grundlagen der liberalen Ideologie umstürzen – nicht das als erlaubt definieren, was nicht ausdrücklich verboten ist, sondern das, was ausdrücklich erlaubt ist. Nun, wo befindet sich nur der Ort, an dem die Aktivitäten zwischen ausdrücklich Erlaubtem und ausdrücklich Verbotenem aufgeteilt werden? Im Gefängnis.

Obwohl der Staat noch nicht den notwendigen Konsens zur Einführung der „Immun“ Applikation für die digitale Verfolgung von sozialen Kontakten erzielt hat, hat er damit begonnen, von einigen halbfreien Gefangenen ein Smartphone für die Geolokalisierung zu verlangen. Als Ersatz für was? Elektronische Armbänder, mit deren Bau eine der Mobilfunkfirmen (Fastweb) beauftragt wird.

Der Fortschritt der digitalen Technologie ermöglicht, wovon die totalitären Regime der Vergangenheit nicht einmal zu träumen wagten.

Anmerkungen

[1] ITEA Spa (Istituto Trentino per l’Edilizia Abitativa) ist eine Aktiengesellschaft unter der Leitung und Koordination der Autonomen Provinz Trento. Sie betreibt die öffentlichen Mietwohnungen.

Chroniken des Ausnahmezustandes Nr. 7 – Wandzeitung aus #Trentino